Seltsame Ruhe auf den Komoren

Im August 1997 spaltete sich die Insel Anjouan von der Bundesrepublik der Komoren ab. Die Sezessionisten Anjouans liessen sich weder durch eine militärische Intervention noch durch Verhandlungen von ihrem Weg abbringen. Die Zentralregierung besteht weiter auf der territorialen Einheit der Komoren.

Mit viel Feierlichkeiten wurde letzten Juli in Moroni, der Hauptstadt der Islamischen Bundesrepublik der Komoren, die neue Freitagsmoschee Al Quassimi eingeweiht. Die vom Emirat Sharjah (Vereinigte Arabische Emirate) finanzierte Gebetsstätte fasst unter ihrer luftigen Bogenarchitektur 6000 Gläubige. Sie löst die seit Jahrhunderten direkt neben dem alten Dhowhafen stehende, aus Vulkangestein erbaute Moschee ab. Damit hat auch in der zutiefst islamischen Republik eine Art Moderne Einzug gehalten. Daneben jedoch scheint sich im Gefüge der traditionellen Gesellschaft kaum etwas zu ändern. Wohl sind wie jedes Jahr im Juli und August die Exilkomorer eingeflogen. Sie erledigen in Marseille, Paris und Dünkirchen meist niedere Jobs. Doch dem Flugzeug entsteigen sie mit Anzug und Krawatte. Sie sind verpflichtet, ihren Angehörigen nicht nur Geschenke und Geld mitzubringen, sondern auch Erfolg vorzugaukeln. Daher wünschen sich vor allem die Jungen auf den Komoren nichts sehnlicher, als ein Flugticket und ein Einreisevisum für Frankreich. Doch nicht einmal mehr Pässe sind erhältlich. Ein offenbar umfangreicher Handel mit Pässen wurde kürzlich aufgedeckt.

Am 6. Juli 1975 hatte sich die Islamische Bundesrepublik der Komoren als unabhängig von Frankreich erklärt. Doch die kargen Eilande im Kanal von Moçambique schafften es nie, sich auf eigene Beine zu stellen. Ökonomisch gehören die drei Vulkaninseln Grande Comore, Anjouan und Mohéli zu den ärmsten Ländern der Welt. Grande Comore ist mit 1025 km2 die grösste Insel, dort liegt auch die Hauptstadt Moroni. Die beiden anderen Inseln des Archipels, Mohéli (211 km2) und Anjouan (424 km2), liegen in Sichtweite keine 75 Kilometer weiter. Fischfang und etwas Ackerbau wird betrieben. Der Export von Vanille, Nelken und dem Duftstoff Ylang-Ylang bringt immer weniger ein. Die Handelsbilanz ist notorisch negativ. Ein nennenswerter Tourismus spielt sich nur in einem - von Südafrikanern betriebenen - Hotelkomplex ab. Das Bruttosozialprodukt liegt um die 500 Dollar pro Einwohner. Die 650000 Einwohner leben zum guten Teil von Geldüberweisungen ihrer in Frankreich arbeitenden Verwandten. Korruption und Günstlingswirtschaft haben auf den Komoren System. Der Staat ist der grösste Arbeitgeber und leistet sich 6300 Angestellte. Doch die Schullehrer sind seit 14 Monaten nicht mehr bezahlt. Über 70% der Staatsausgaben verschwinden, konstatierten Weltbank und FMI letzten Februar. Auf den Inseln der Düfte, wie sich die Komoren gern nennen, herrschen 'colère et choléra': Wut und Cholera.

Immer wieder finden zum Teil blutige Demonstrationen gegen den Staatspräsidenten Mohamed Taki Abdoulkarim statt. Er regiert die präsidiale Republik seit März 1996 als faktischer Diktator. Taki ist innenpolitisch isoliert, nur die Armee hält ihm noch die Stange. Die jüngsten Krawalle am 11. und 12. Mai hatten Tote zur Folge.

Das gravierendste Problem der Republik liegt jedoch bei den Sezessionsbestrebungen. Am 3. August letzten Jahres hatte sich die zweitgrösste Insel Anjouan von der Zentralregierung losgesagt, um sich Frankreich anzubieten. Doch Frankreich wollte seine ehemalige Kolonie nicht zurück. Schon 1981 hatten 380 Notable in einem Brief an François Mitterand um Wiederaufnahme ins Hexagon gebeten. Seit einem Jahr laviert Anjouan zwischen allen Fronten. Die Zentralregierung in Moroni geht zusehends auf Konfrontation. Eine militärische Intervention scheiterte vor einem Jahr kläglich. Nun setzt Moroni auf Embargo. Doch Schiffe aus Madagaskar und aus Mayotte versorgen die abtrünnige Insel mit Reis und Treibstoff. Trotzdem: es fehlt an Strom, Ersatzteilen und Medikamenten. Seit Beginn September sind keine Flüge von Moroni nach Anjouan mehr möglich. Die private Fluggesellschaft Comores Air Services unterhält seit Beginn des Jahres mit Müh und Not einen Flugdienst zwischen den drei Komoreninseln. Flugzeuge und Piloten stammen aus Kenya.

Anjouan leidet unter der Isolierung. Dazu hilft die Internetseite (www.anjouan.org) nur wenig weiter und auch nicht die jüngst herausgegebenen Briefmarken der Anjouan-Republik. Die Leute vertrauen ihre Post lieber ausreisenden Leuten an. In Mujamudu, der Hauptstadt der 200000 Einwohner zählenden Sezessionistenrepublik, verkehren selbsternannte Milizen. Sie werden Embargos genannt und bestehen meist aus Jugendlichen. Die oft im Rambolook gekleideten 2000 Kämpfer sind auch beauftragt, auf Anjouan die Abfälle zu beseitigen.

Weissgestrichene Allradfahrzeuge der Organisation der Afrikanischen Einheit (OUA) patrouillieren Tag und Nacht. Die Offiziere aus Ägypten und Niger gelten als stabilisierendes Element. Die OUA geht jedoch auf die Sezession nicht ein. Sie hält sich an ihr Prinzip, die kolonialen Grenzen anzuerkennen. Anlässlich der Konferenz in Ouagadogou im letzten Juni empfahl die OUA, die separatistischen Dirigenten von Anjouan zu isolieren. Madagaskars Präsident Ratsiraka ging weiter, er bot Moroni militärische Hilfe an.

Dabei war Anjouan von 993 bis 1912 ein eigenständiges Sultanat. 'Es gibt keine komorische Nation', argumentierten die Vertreter Anjouans schon letzten Dezember vor der OUA in Addis-Abeba. 'Frankreich hat gewollt, dass die drei Inseln zu einem Staatswesen werden', sagt der komorische Historiker Moussa Issihak, 'dabei hatte jede der Inseln in den letzten tausend Jahren eine ganz eigenständige Geschichte'.

Vermittlungsversuche wurden schon zahlreiche unternommen. Gespräche in Frankreich, in Tansania und auf Mauritius brachten nichts. Mit Mandat der OUA will sich Südafrikas Präsident Mandela nun um Vermittlung kümmern. Derweil warnt Anjouans Präsident Abdallah Ibrahim regelmässig vor einer militärischen Intervention, ausgeführt von Soldaten der Bundesrepublik der Komoren oder aber von der OUA.

Die Sezessionisten auf Anjouan können sich allenfalls eine Konföderation mit den beiden Komoreninseln Grande Comore und Mohéli vorstellen. Bedingung ist und bleibt jedoch die Demission von Präsident Taki. Der windet sich nach allen Seiten: Kabinettsumbildungen, Suche nach Geld und Verbündeten, Drohungen und Boykott.

Doch auch Anjouan ist zerstritten. Der selbsternannte Präsident Foundi Abdallah Ibrahim entliess am 5. Juli seinen Premierminister Chamasse Said Omar. Damit endete der lange schwelende Konflikt zwischen dem zu versöhnlichen Gesprächen mit Moroni nicht abgeneigten Präsidenten und dem zu einem radikalen Sezessionismus tendierenden Premierminister. Doch auf der Strasse liess Chamasse seine aufgebrachten Anhänger aufmarschieren. Per Akklamation wurde der Präsident abgesetzt, der hingegen schickte seine Anhänger, um die Demonstranten zu verjagen. Derweil proklamierte sich per Radioansprache der ehemalige Chef der komorischen Streitkräfte, Ahmed Abdallah, zum provisorischen Präsidenten Anjouans. Präsident Abdallah Ibrahim rette sich, indem er mit Abdou Mhindi einen Chamasse nahestehenden Premierminister ernannte. 'Familienrepublik', konstatiert die auf Anjouan arbeitende französische Hilfsorganisation Humanis verbittert. Die UNO-Entwicklungshilfeagentur UNDP hat ihre Mitarbeiter zu Beginn September aus Anjouan abgezogen.

Wöchentlich suchen hunderte von Menschen auf mehr als fragwürdigen Schiffen, von Anjouan nach Majotte zu gelangen. Unglücke dieser Boatpeople sind häufig. Nur ein reguläres Fährschiff verkehrt dreimal in der Woche. Der Fahrpreis beträgt 250 Französische Franken: zuviel für die meisten. Der Flugpreis ist wesentlich höher und kann nur von den 'je viens' bezahlt werden, den Exilkomorern, die sich auch auf Anjouan anlässlich der europäischen Sommerferien einfinden.

Derweil befindet sich auch die kleinste der Komoreninseln in einem latenten Abspaltungsprozess. Doch Mohéli ist mit 20000 Einwohner zu klein, um für Moroni eine Gefahr zu sein. Noch immer ungeklärt bleibt die Frage um Mayotte. Diese vierte Komoreninsel hatte sich 1974 für den Verbleib bei Frankreich entschieden. Die 100000 Bewohner der 374 km2 grossen Insel bilden heute eine Gebietskörperschaft innerhalb Frankreichs und leben sehr gut von den massiven Finanzhilfe Frankreichs. Als wichtigstes aussenpolitisches Anliegen fordern die Komoren regelmässig die Integration von Mayotte. Seit der Unabhängigkeit vor 23 Jahren zieren vier Sterne die grüne Flagge der Islamischen Bundesrepublik der Komoren. Die vier Sterne stehen für die vier Komoreninseln.

 

Franz Stadelmann

Diese Reportage erschien im September 1998 in der Neuen Zürcher Zeitung.

 

fsn. 12. März 99: Präsident Taki Abdoulkarim verstarb im Dezember 1998. Doch auch sein Nachfolger pocht auf die territoriale Integrität der drei Komoreninseln. Verhandlungen in Südafrika und auf Mauritius brachten bislang keine Lösung.

Auch jetzt noch - Dezember 2001 - hat sich keine Lösung abgezeichnet, trotz mehrerer Putsche und trotz wiederholten Vermittlungsversuchen Mandelas.

Im Juli 2008 wird Anjouan von einer afrikanischen Truppe im Rahmen der Operation «Démocratie aux Comores» 'zurück erobert'. Damit findet die elfjährige 'Unabhängigkeit' der Insel Anjouan ein Ende. Die bewegende Geschichte kann auf den Newsseiten von www.google.com unter dem Stichwort Anjouan gelesen werden. Franz Stadelmann, 3. Aug. 2008


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