Ein Tag im Leben... einer Rentnerin

1997 ging ich im Alter von 60 Jahren in Rente. Bis dahin arbeitete ich als Animateurin bei italienischen Brüdern an der Ostküste Madagaskars nördlich von Manakara. Meine Domäne betraf Landwirtschaft, Hygiene, Ernährung und Gesundheit. Da ich bei meinem Weggang eine grosszügige Abfindung erhielt, kehrte ich in mein Heimatdorf in der Nähe des Flughafens der Hauptstadt zurück und baute auf dem Land meiner Mutter ein kleines Häuschen. Meine Idee war, die landwirtschaftliche Tätigkeit meiner Mutter weiterzuführen, weil diese inzwischen zu alt dazu war. Allerdings pflanzte ich - statt wie üblich Maniok, Mais und Süsskartoffeln - Soja, Bohnen, Gemüse und Obstbäume an, um weiterhin das anzuwenden und weiterzugeben, was ich zuvor bei meiner Arbeit getan und gelernt hatte. 

Nach und nach kam dann Verschiedenes hinzu. So initiierte ich eine Baumschule und war auch sehr aktiv im sozialen Bereich als Mitbegründerein einer NGO für 9 Stickerinnen und einer Bibliothek. Ich machte Radiosendungen, half bei der Alphabetisierung, war sowohl politisch als auch in der Kirche tätig und während der Schulferien hatte ich eine Gruppe von 14 Kindern im Alter zwischen 4 und 13 Jahren aus der Stadt bei mir wohnen. Eine junge Frau half mir bei der Betreuung. Wir tanzten, sangen, machten Ausflüge, gingen aufs Feld und in die Kirche. Dies alles bereitete mir sehr viel Spass.

Leider existiert einiges davon nicht mehr, da die Leute, die mir halfen, entweder wegzogen oder eine andere Arbeit annahmen. Die Baumschule gab ich nach zwei Jahren auf, weil die Leute zwar Bäumchen für die Wiederaufforstung bestellten, sie aber nie abholten. Dann wurde meine Mutter, die in der Stadt wohnte, pflegebedürftig und ich wechselte mich im 14-Tage-Rhythmus mit meiner Schwester ab, um sie zu betreuen. So konnte ich das Land nicht mehr zufriedenstellend kultivieren und während einer meiner 14-tägigen Abwesenheiten wurde sogar in meinem Haus eingebrochen.

2007 verstarb meine Mutter im hohen Alter von 93 Jahren und seitdem bin ich wieder hier auf dem Land. Allerdings lebe ich jetzt im Nachbardorf, wo ich das Haus meiner Schwester bewohne, damit es nicht leer steht. In meinem eigenen Häuschen auf dem Land meiner Mutter habe ich eine Familie untergebracht, die einen Teil des Geländes bebaut und sich um die Hühner kümmert, denn im Juni dieses Jahres habe ich auf diesem Terrain, das 15 Minuten zu Fuss von meiner jetzigen Bleibe entfernt liegt, eine Zucht für Masthühnchen begonnen.

Ich habe mit meiner Schilderung ziemlich weit ausgeholt, um zu zeigen, wie das Leben als Pensionärin sein kann. Ich war weder verheiratet noch habe ich Kinder, also muss ich sehen, wie ich alleine über die Runden komme. Ich möchte meinen Geschwistern nicht zur Last fallen und von der Rente kann man nicht leben. Ausserdem bin ich nicht der Typ, der die Hände in den Schoss legt und ich möchte solange tätig sein, wie ich die Kraft dazu habe. Es gibt noch so viel zu tun und zu lernen, beziehungsweise zu erforschen.

Nun möchte ich aber endlich zum eigentlichen Thema kommen und einen Tag in meinem jetzigen Leben beschreiben. Inzwischen bin ich 74 und kann nicht mehr so vielen Aktivitäten wie zuvor nachgehen. Dennoch ist mein Tag ausgefüllt und ich langweile mich nicht. Nach wie vor erledige ich das meiste selbst. Spätestens um 5 Uhr stehe ich auf und nehme mein Frühstück ein, das ich am Abend zuvor zubereitet habe. Sojamilch, Kaffee oder Kräutertee halte ich in einer Thermoskanne über Nacht warm. Den Reis esse ich kalt, manchmal mit Erdnüssen und manchmal mit Tofu, den ich selber herstelle. Anschliessend mache ich den Haushalt und dann kümmere ich mich um die Kulturen, die ich ums Haus herum angelegt habe: Melonen, Voanjibory (Hülsenfrüchte, die wie Erdnüsse im Boden wachsen), Mais, Karotten und andere Gemüse. Weder für den Haushalt noch für die Instandhaltung der Beete habe ich jemanden angestellt. Das Wasser zum Giessen hole ich mit dem Eimer aus dem Ziehbrunnen. Nur für körperlich schwerere Arbeiten wie Hecke schneiden, leiste ich mir einen Tagelöhner.

Um 10 Uhr gehe ich ins Haus zurück, weil es dann zu heiss wird und um die nationalen Nachrichten am Radio und Reportagen über die Hintergründe zu hören. Gleichzeitig flicke ich kaputte Kleidungsstücke und anschliessend beginne ich mit der Zubereitung meines Mittagessens. Nachmittags gehe ich zum Feld, das meiner Mutter gehörte, um nach dem Rechten zu sehen. Sind die Hühner gut versorgt? Muss was an Haus, Brunnen oder Hühnerstall repariert werden? Sind die Arbeiten auf dem Feld ausgeführt? Herrscht Ordnung oder liegt überall Müll herum? Ich beschränke mich nicht darauf, nur Befehle zu geben, sondern erkläre immer, weswegen irgendwas anders gemacht werden soll. Vor allem für die Kinder nehme ich mir viel Zeit, denn sie sind die Zukunft des Landes und ich möchte ihnen soviel wie möglich von meinem Wissen über die Umwelt und das Leben im Allgemeinen mitgeben.

Nach wie vor bin ich in der Kirche und der Politik engagiert, allerdings bedeutend weniger als vorher. Deshalb kann es vorkommen, dass ich manchmal nachmittags nicht aufs Feld gehe. Die Kirche befindet sich hier im Dorf, so dass ich jederzeit schnell dort bin, wenn etwas diskutiert oder organisiert werden muss. Politisch bin ich bei AVI (asa vita ifampitsarana = man urteilt nach der Arbeit, die getan wurde) aktiv. Diese Gruppe ist unabhängig und das gefällt mir. Hier geht es darum, was für das Land und das Wohl seiner Einwohner getan wurde und wird. Ich nehme nur noch an den verschiedenen Sitzungen teil, um über ihre Aktionen auf dem Laufenden zu sein und auch, um meine Meinung kundzutun. Was mich aber ganz besonders interessiert, das sind Menschen, die aus der Masse herausragen. Letzthin war ich zu einer Feier eingeladen, die zu Ehren des Gründers der technischen Universität abgehalten wurde. Mit 70 Jahren wurde Etienne RAKOTONARY öffentlich zum emeritierten Professor ernannt. Jeder, der an diesem Tag eine Rede hielt – ob Minister oder Student – bezeichnete den Geehrten als Modell. Nun möchte ich erforschen, warum dieser Herr von allen als Modell angesehen wird. Was ist das Besondere an ihm? Was liess ihn zum Modell werden? Sobald ich diese Fragen für mich beantwortet habe, werde ich entweder in meiner Gemeinde einen Vortrag darüber halten, oder aber in der Schule den Kindern darüber berichten. Vielleicht werde ich auch eine Radiosendung machen. Das kommt ganz darauf an, was ich herausfinde und auf welche Art ich dann Lust habe, das Ergebnis mit meinen Mitmenschen zu teilen.

Nun bin ich ja schon wieder abgeschweift. Aber so ist das halt, das Leben hat noch soviel Interessantes zu bieten. Da kann man nicht zu Hause sitzen und Däumchen drehen. Aber wieder zurück zu meinem Tagesablauf. In der Regel kehre ich bei Einbruch der Dunkelheit gegen 18 Uhr nach Hause zurück, bereite mein Abendessen und gleichzeitig mein Frühstück für den nächsten Tag zu. Zwischen 20 und 21 Uhr nehme ich meine Abendmahlzeit ein und zugleich höre ich wieder die Nachrichten, diesmal auch die internationalen Nachrichten auf RFI. Ganz besonders interessiert mich, was momentan in der Elfenbeinküste passiert. Gegen 22 Uhr gehe ich ins Bett, um zu schlafen.


 

Fotostrecke: ein Tag im Leben
 

   

Zur Zeit wohnt Charlotte in diesem Haus, das ihrer Schwester gehört. Da es viel zu gross ist für sie allein, bewohnt sie ausser der Küche und dem Bad nur den Salon, in dem sie isst, schläft und arbeitet. So verliert sie nicht zu viel Zeit für die Putzerei. Das Gebäude ist nicht an die öffentliche Wasser-versorgung angeschlossen. 




Früher wurde das Wasser von einer elektrischen Pumpe in die beiden blauen Fässer befördert, die das Haus mit fliessendem Wasser versorgten. Leider hat Charlotte nicht realisiert, dass die Pumpe abgestellt werden muss, sobald der Wasserpegel sinkt. Die Pumpe arbeitete im Leerlauf und ging kaputt. Nun muss die Rentnerin das Wasser fürs Haus aus dem Ziehbrunnen holen. 




Den Kamin hat sie als Auf-bewahrungsort für diverse Materialien, die zur Instand-haltung von Haus und Hof dienen, umfunktioniert. Um dem Stehlen vorzubeugen, bewahrt sie alles im Haus auf und lässt nichts draussen. Der Um-schwung ist nur an 2 Seiten durch eine Mauer begrenzt und da ihr schon Früchte von den Bäumen gestohlen wurden, möchte sie mit den wertvolleren Gegenständen kein Risiko eingehen




Rechen, Hacke, Eimer mit Seil und Giesskanne sind alles, was Charlotte für die Bearbeitung der Felder ums Haus ihrer Schwester braucht. Auch diese Utensilien werden im Haus aufbewahrt - wie auch der Sack mit Holzkohle. Die Holzkohle wird benutzt, um ein kleines Metallöfchen, auf dem die Mahlzeiten zubereitet werden, zu beheizen.




Blumen und Gemüse wachsen fröhlich durcheinander. Stolz zeigt Charlotte ihre Melonen. Trotz der momentanen Trockenheit sind sie gut im Schuss, seit 3 Wochen fiel kein Tropfen mehr vom Himmel und das, obwohl die Regenzeit schon Anfang November begonnen hatte. 




Der Umschwung der Villa endet dort, wo die Reisfelder beginnen. Im Hintergrund raucht ein traditioneller Backstein-brennofen. Die Ziegelsteine werden aus der lehmigen Erde der Reisfelder geformt und auf besondere Art aufgeschichtet, damit die Temperatur zum Brennen überall gleich hoch ist. Aus diesen Steinen sind alle Häuser gebaut.




Trotz ihres Alters von 74 Jahren zieht Charlotte das Wasser zum Giessen selbst aus dem Brunnen. Da er nicht viel höher als die Reisfelder liegt, ist der Wasserpegel nicht sehr tief. Sie muss den vollen Eimer lediglich 5 m hochziehen. Es gibt Brunnen in der Gegend, die bis zu 30 m tief sind und die Leute das Wasser nach wie vor per Hand heraufbefördern, da sie sich keine Pumpe leisten können.




Glücklich zeigt die Rentnerin das Material, das sie für die Kindergruppe benutzt hat, obwohl diese nicht mehr existiert. Einiges davon erhielt sie geschenkt, anderes hat sie selber von ihrer spärlichen Rente gekauft. Die meisten ihrer Aktivitäten sind ehrenamtlich. Die Beschäftigung mit den Kindern hat ihr sehr viel Freude bereitet und wenn sie jetzt davon berichtet, spürt man, mit welchem Eifer sie bei der Sache war.




Dieser Weg führt von ihrem jetzigen Wohnort zu den Feldern ihrer Mutter, wo sie fast jeden Nachmittag hingeht, um die Arbeiten im Hühnerstall zu überwachen. Die Mauer, die einen Bauernhof umschliesst, ist nach traditioneller Art mit Lehmklumpen errichtet. Sie hält jahrelang und das ganz ohne Zement. Die Einfriedung mit Christusdorn und die Glasscherben sollen Banditen vom Einbrechen abhalten.




Charlottes Häuschen, das sie sich mit dem Geld ihrer Abfindung nach dem Aus-scheiden bei der italienischen Mission gebaut hat, besteht aus 2 Zimmern, Küche und Dusche. Es hat weder fliessend Wasser, noch Strom, noch WC. Es steht auf dem 1,5 ha grossen Gelände ihrer Mutter, das seit deren Tod unter den 7 Geschwistern auf-geteilt wurde. Die Arbeiter-familie, die zur Zeit hier wohnt, hat Farbeimer zu Blumentöpfen umfunktioniert.




Das Plumpsklo befindet sich etwa 25 Meter vom Haus entfernt – idyllisch in die Natur eingebettet neben einem Maniokfeld. Sofern die Um-stände es erlauben, ist es immer im grösstmöglichen Abstand zum Brunnen errichtet. Sofern man sich nachts oder während eines starken Tropenregens erleichtern muss, tut ein Eimer im Haus seinen Dienst. 




Der Litschibaum, vor ungefähr 10 Jahren gepflanzt, trägt die ersten Früchte, die hier auf dem Hochland im Februar reif sein werden. An der Küste sind sie schon Ende November / Dezember zu haben. Theoretisch sollte der Baum schon viel früher Früchte hervorbringen, aber da die Pensionärin mit der Pflege ihrer Mutter in der Stadt beschäftigt war, kam der Unterhalt der Obstbäume zu kurz. Das kleine Haus im Hintergrund gehört Charlottes Schwester, das diese sich auf ihrem Anteil des Landes vor kurzem gebaut hat.




Das Hühnerhaus für die Masthühnchen ist 30 Meter lang und 7 Meter breit. Es kann maximal 1500 ausgewachsene Hühner aufnehmen. Nachts und an kalten Tagen im Winter werden die Fensteröffnungen mit Plastikfolie geschlossen, um Wind und Kälte abzufangen. Der Brunnen für die Wasser-versorgung des Geflügels be-findet sich gleich nebenan. Das Dach ist mit Gras gedeckt und der untere Teil des Gebäudes aus Lehmklumpen errichtet.




Vor drei Tagen wurden die gemästeten Hühner an den Wiederverkäufer, einen grossen landwirtschaftlichen Betrieb mit Filialen in verschiedenen Quar-tieren Antananarivos, geliefert. Jetzt sind zwei Angestellte und deren Familienmitglieder damit beschäftigt, den Mist abzu-transportieren und das Gebäude für die nächste Mast vorzubereiten. Die Eintagsküken sowie Futter, Medikamente, Holz für den Ofen und grobes Sägemehl, um den Boden abzudecken, werden von der Firma geliefert. Den Mist darf der Züchter behalten.




Dieser Ofen, aus einem Fass hergestellt, ist Tag und Nacht in Betrieb, um die Küken warm zu halten, die anfangs auf einem Fünftel der Gesamtfläche untergebracht sind. Geheizt wird mit Holz, ein Angestellter übernachtet im Stall, um das Feuer und die Petroleumlampen zu überwachen. Sobald die Masthühnchen etwas grösser sind, wird ein weiteres Fünftel geöffnet.




Die Futtertröge sind bereits gereinigt und warten auf den nächsten Einsatz. Sie sind aus Holzlatten selbst gezimmert, oben ist eine Querlatte an-gebracht, um zu verhindern, dass die Hühner mit den Füssen das Futter verschmutzen. Alles ist so einfach wie möglich und vor allem kostengünstig hergestellt. Die Petroleum-lampen, die auf dem Tisch und der vorletzten Fensterbank zu sehen sind, wurden aus Büchsen, die zuvor Dosenmilch enthielten, fabriziert.




Charlotte


Die Serie' Ein Tag im Leben' beschreibt den Alltag von Menschen in Madagaskar. Möglichst nahe, möglichst konkret.  
Während Ihres Besuches in Madagaskar können Sie diese Person gern persönlich kennen lernen.


 
 
 
 
 
 
 
 
 

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