Prähistorik
und Besiedlung
'Madagaskar
ist eines der dicksten und längsten Geschichtsbücher, gefüllt
mit hunderten von Seiten interessanter Tatsachen, in welchem
aber die ersten Seiten leer und unbeschrieben sind', sagte S.
Carlquist bezüglich der Naturgeschichte Madagaskars.
Dasselbe
gilt auch für die Geschichte der Menschen auf der Insel.
Bislang bleibt noch immer unklar, unter welchen Umständen
die ersten Menschen nach Madagaskar kamen. Fest steht nur, dass
Madagaskar sich von Afrika trennte, bevor der Mensch entstanden
war.
Bislang
fand man auf Madagaskar keine Spuren oder Indizien, die auf eine
frühgeschichtliche Präsenz von Menschen hindeuteten. Die
Madagassen wanderten folglich ein und zwar zu einer Zeit, als
Madagaskar über keine Landbrücke - falls sie je existierte -
mit Kontinentalafrika verbunden war. Daher kamen die ersten
Menschen, die ihren Fuss auf Madagaskar setzten, mit Booten auf
die Insel. Soweit ist sich die Wissenschaft einig.
Doch
woher und wann kamen die ersten Immigranten? Wie viele waren es,
und kamen sie gleichzeitig oder in Etappen? Brach der Kontakt
mit der Aussenwelt nach dieser einen Überfahrt ab? Wo
landeten sie? Kamen sie als Händler, Abenteurer oder
Siedler? Freiwillig oder vom Winde verweht? Welche Fertigkeiten,
Organisationsformen, Religion brachten sie mit?
Der
Zeitraum der Ersteinwanderung kann bislang nur in einer
Spannbreite von tausend Jahren mit Bestimmtheit begrenzt werden.
Sicher gab es zu Beginn unserer Zeitrechnung keine Menschen auf
Madagaskar, ebenso sicher war Madagaskar tausend Jahre später
von Menschen besiedelt. Die archäologischen Funde sind in
Madagaskar spärlich oder noch unentdeckt. Kein Zeichen
menschlicher Präsenz reicht früher als ins 8. Jahrhundert
unserer Zeitrechnung zurück.
Sicher
ist auch, dass diese Menschen die damalige Landschaft wesentlich
veränderten. Die grossen Lemuren und der Aepyornis starben
wohl ihretwegen aus: entweder wurde ihr Lebensraum durch Feuer
und Abholzung zerstört oder die Tiere wurden gejagt. Oder
beides.
Man
fand Fossilien dieser Tiere und Eierschalen des Aepyornis
inmitten der Scherben von Kochtöpfen, einige weisen Spuren
von Werkzeugen auf. In Ablagerungen entdeckte man - im Norden
und im Süden der Insel, Angelhaken aus Eisen, Töpfe und
Fundamente von rechteckigen Häusern.
Die
madagassischen Volkserzählungen sind für die Erklärung
der Herkunft der Vorfahren nicht sonderlich aufschlussreich,
doch insbesonders die Merina berichten, dass ihre Urväter
von jenseits des Meeres kamen und bei Maroantsetra an Land
gingen.
Doch
wer waren die Leute? Hypothesen gaben ihnen alle möglichen
Ursprünge. Forscher sprachen sehr bald von Indonesiern und
Afrikanern, andere siedelten die Urheimat in Melanesien an oder
sprachen von einer sumatranischen Herkunft einer ersten
Siedlerwelle, gefolgt von einer afrikanischen Bantueinwanderung.
Phantasten sahen Juden oder Phönizier als madagassische Urväter,
oder Polynesier, Pygmäen, gar buddhistische Mönche
oder schlicht ein unidentifizierbares Volk.
Der
doppelte Ursprung der Madagassen aus Indonesien und Afrika ist
inzwischen belegt. Schon 1614 schrieb der
italienisch-portugiesische Jesuit Luis Mariano: 'die ersten
Bewohner sind zum Teil aus Malaca gekommen, zum Teil aus
Cafraria'.
Der
heutige Stand der Forschung stützt sich auf einige gesicherte
Fakten und liefert inzwischen ein plausibles Erklärungsmodell,
obwohl noch längst nicht alle Elemente dieses Rasters geklärt
sind.
Ausgehend
von ethnologischen Fakten der heutigen Bewohner, von Religion
und Sozialstruktur, von Sprache und Körpermerkmalen, ist es
möglich, die geografische Herkunft relativ genau
einzukreisen.
Die
physische Vielfalt der verschiedenen Ethnien Madagaskars ist
klar sichtbar. Ein grosser Teil der Merina hat einen 'typisch
indonesischen Einschlag' mit heller Haut, straffem Haar und
leicht geschlitzten Augen. Andere (z.B. Tsimihety, Sakalava,
Bara) sind mit Kraushaar und schwarzer Haut deutlich negrid. Die
Mehrzahl der Leute - auch innerhalb einer Ethnie - ist jedoch
gemischt, sodass sich die 18 Ethnien in den äusseren
Merkmalen kaum durchgehend unterscheiden. Grob geschätzt
weisen zwei Drittel der physischen Merkmale der Madagassen nach
Afrika und ein Drittel nach Indonesien.
Ethnologische
Daten lassen auf eine Mischung von afrikanischen und
indonesischen Elementen schliessen. Auf einen indonesischen
Ursprung geht die rechteckige Baustruktur zurück: Häuser
und Gräber sind rechteckig und keinesfalls rund wie in
Kontinentalafrika. Indonesischen Ursprungs ist auch die
Ausrichtung der Häuser: die Dachgiebel verlaufen in Nord-Süd-Richtung
und die Türen öffnen sich gegen Westen. Aus dem
indonesischen Raum stammen auch die Methode der Eisenverhüttung
und die Schmiedetechnik mit ihrer Luftzufuhr über zwei
Zylinder, die Auslegerboote, das Aufstellen von Steinmegalithen,
der ausgeprägte Ahnenkult und die Grabskulpturen, die
Formen der Höflichkeit und der oralen Literatur.
Verwandtschaftsterminologie und das Verwandtschaftssystem haben
indonesische Wurzeln. Ebenso stammen die Kulturpflanzen
Kokospalme und Banane aus Südostasien. Im alten madagassisch
wurde das Wort ountsy für Banane gebraucht und Banane wird in
der Sprache der Batak noumtchi genannt. Auch Süsskartoffel und
Zuckerrohr haben ihren Ursprung in Südostasien, ebenso wie Taro
(saonjo), Jamswurzel (ovy) und Bergreis. Die Technik des
Nassreisanbaus auf überfluteten Feldern könnte allerdings
aus Südindien stammen, wie auch das Wort für Reis (vary).
Die
eher soziale als ökonomische Bedeutung des Rindes zeigt
nach Afrika. Das in Madagaskar verbreitete Kurzhornrind kam
wahrscheinlich frühestens ab dem 7. Jahrhundert von Indien via
Arabien nach Afrika. Etliche Landwirtschaftsprodukte wie
Sorghum-Hirse, Wassermelone und Zwiebel stammen aus Afrika.
Afrikanischen
Ursprungs sind auch die tromba (Besessenheitsphänomene) und
die dady (Königsreliquien und ihre Verehrung).
Tänze
und Musikinstrumente sind aus beiden Regionen übernommen. Das
katra-Spiel stammt aus Afrika, das fanorona-Strategiespiel aus
Asien. (Beim mit 32 Mulden versehenen Katra-Brett wird mit 64 Körnern
gespielt. Ziel ist, dem Gegner möglichst viele Körner
zu entreissen und den eigenen Bestand zu erhöhen. Das
komplizierte Brettspiel fanorona mit seinen 45 Positionspunkten
gleicht entfernt dem Dame- oder Mühlespiel, verlangt aber
wesentlich mehr Strategie und Voraussicht.)
Die
madagassische Sprache ist auf der ganzen Insel von verblüffender
Einheitlichkeit. Sie ist in ihrem Grundschema klar indonesischen
Ursprungs und wird der westindonesischen Sprachfamilie
zugeordnet. Dies fiel schon dem Holländer Frederick de
Houtman auf, der bereits 1603 ein umfangreiches Vokabular mit
malaiischen und madagassischen Worten veröffentlichte. Sein
Landsmann Adrian Reeland verglich 1708 die Wörter der
beiden Sprachen. Auch der Deutsche Johann Forster, der mit
Capitain Cook 1772 - 1775 auf Weltreise ging, erwähnt das
Vorhandensein von malaiischen Wörtern in der madagassischen
Sprache. (Malaiisch ist als Oberbegriff von indonesisch zu
verstehen.)
Weitere
holländische Linguisten, mit indonesischen Sprachen und der
madagassischen Sprache vertraut, fanden Gemeinsamkeiten bezüglich
der grammatikalischen, lexikalischen und phonetischen Struktur.
80% des Vokabulars sind indonesischen Ursprungs. Die
madagassischen Verben kennen aktive, passive und relative
Formen. Es sind zwei wir-Formen vorhanden: die eine schliesst
den Sprecher ein, die andere schliesst ihn aus. Die
Verkleinerungsform geschieht in Form einer Wiederholung der
Wortwurzel.
Die
technischen Ausdrücke sind in beiden Sprachen sehr stark
miteinander verwandt: so die Bezeichnungen für
Eisenverarbeitung, Schifffahrt, Jagd, Fischfang, Bekleidung,
Landwirtschaft und Häuserbau.
Doch
die vor vielleicht 1500 Jahren noch archaische indonesische
Sprache der Urmadagassen unterlag durch Kontakte mit Bantu an
den Küsten Ostafrikas einem wichtigen Einfluss aus Afrika. Die
madagassische Sprache entwickelte sich durch den Kontakt mit
Bantu zu einer Art Pidgin-Sprache, in deren Grundmuster die
indonesische Ursprungssprache jedoch erhalten blieb.
In
der madagassischen Sprache stammen die Namen für Küchengeräte
und die Bezeichnungen im Töpfereiwesen aus dem Bantu,
ebenso wie die Namen von Wildtieren und Haustieren (Hund, Huhn,
Schaf, Ziege, Rind) und die vielen Ausdrücke rund um die
Viehzucht. Das Madagassische hat mehrere hundert Bantu-Wörter
aufgenommen. Die Vokalisierung der Wortenden lässt
ebenfalls auf einen afrikanischen Einfluss schliessen.
Die
Begrüssung (arahaba) wie auch die Bezeichnung für Sack (ngony)
und Bezahlung/Lohn (karama) stammen ebenfalls aus Afrika und
sind swahilischen Ursprungs.
Bezeichnungen,
die mit Himmelsrichtungen, Gewichten und Massen zu tun haben,
gehen auf arabische Ursprünge zurück, ebenso wie die
Zeitangaben (Wochentage und Monate).
Allerdings
existieren auch Doppelwörter indonesischer und
Bantu-Herkunft, so für Wildtiere. Auch bei Haustieren werden
zuweilen zwei Namen gebraucht. So nutzt man auf dem Hochland das
indonesische saka für Katze, während man an der Küste
mpiso (arabisch) sagt. (Doch auch innerhalb einer
Dialektvariante gibt es je nach Region diglossische
Situationen.)
Eine
weitere Beeinflussung übte in einer Frühphase das Sanskrit
aus. Die madagassische Sprache hat allerdings nur um die 40
Worte aus dem Sanskrit übernommen, meist Wörter aus dem
Handelsbereich wie trosa (Schulden). Die indonesischen Vorfahren
der Madagassen haben ihre Heimat wohl zu einer Zeit verlassen,
als das Sanskrit auf den indonesischen Inseln zwar bekannt, aber
noch kaum von breiterem Einfluss war. Sanskrit war ab dem 5.
Jahrhundert in Indonesien (Borneo) bekannt. Daher wird
angenommen, dass die Urväter Madagaskars zu Beginn des
hinduistischen Einflusses aus Indonesien emigrierten, also um
das beginnende 5. Jahrhundert. Der Westen Indonesiens stand
jedoch erst ab dem 7. bis zum 12. Jahrhundert unter starkem
hinduistischen Einfluss, als mächtige Seereiche (so
Srivijaya) entstanden waren. Ein möglicher Kontakt mit Südindien
auf den Fahrten nach Ostafrika hat sich in der
indonesisch-madagassischen Sprache nicht eindeutig
niedergeschlagen. Auf Madagaskar hat man bislang auch keine
Spuren von Sanskrit-Texten gefunden.
Die
sprachlich engste Verwandtschaft des Madagassischen besteht mit
dem maanjan, das auf Kalimantan in Südostborneo gesprochen
wird. Ebenso bestehen zwischen Madagaskar und Borneo
frappierende ethnologische Parallelen, beispielsweise bei den
Todesriten. Allerdings waren die verschiedenen Völker der
indonesischen Inselwelt ihrerseits während Jahrhunderten
auch in Bewegung, sodass die heutigen Bewohner Borneos vor 1500
Jahren womöglich auf anderen Inseln lebten. Gleiche
Parallelen lassen sich daher auch mit Java, Celebes und Sumatra
aufweisen. So scheint es inzwischen erwiesen, dass sich im
Madagassischen heute Elemente aus verschiedenen Sprachen der
indonesischen Inselwelt finden.
Die
Bewohner der indonesischen Inselwelt unternahmen gemäss
einer alten Tradition lange Seefahrten, um eine drohende Überbevölkerung
zu vermeiden. Die Suche nach neuem Siedlungsland kombinierten
sie mit Handelsaktivitäten und wohl auch mit Piraterie.
Dabei mag es gezielte Fahrten gegeben haben, aber auch
abgetriebene verirrte Reisen und zufällige Entdeckungen.
Sicher kannten sich diese Seefahrer im Sternenhimmel aus und
konnten ihre Position exakt bestimmen, sodass sie wieder ihren
Weg zurück in die Heimat fanden.
Ein
erster Grundstock der Bevölkerung kam also aus Indonesien.
Doch die Frage bleibt nach wie vor ungelöst, ob die
Einwanderer direkt aus Indonesien nach Madagaskar segelten oder
über Südindien, Ostafrika und die Komoren auf die grosse Insel
gelangten.
Die
Windverhältnisse ermöglichen eine direkte
Segelschiffverbindung zwischen Indonesien und Ostafrika und
Madagaskar. Als der indonesische Vulkan Krakatoa 1883 ausbrach,
wurde Asche 6400 km über den Indischen Ozean bis nach
Madagaskar getragen. Ebenso wurden Baumsamen eines mangoähnlichen
Baumes (gluta tirtur) wohl durch Meeresströmungen über den
Indischen Ozean getragen, der Baum kommt in Java und in
Madagaskar (Sambirano und Ste. Marie) vor.
Zudem
'bewies' das Unternehmen Sarimanok 1985 in der Art eines Thor
Heyerdal, dass mit einem traditionellen Segelschiff die Überfahrt
von Indonesien nach Madagaskar möglich ist.
Verschiedene
Elemente (Auslegerboot, Kokosplantagen) in Ostafrika ebenso wie
afrikanische Spuren in der madagassischen Kultur und Sprache
lassen jedoch auf einen längeren Aufenthalt in Ostafrika
schliessen.
Der
arabische Historiker Al Idrisi schrieb 1154, dass Seefahrer aus
Djawaga bis an die Küste der Zenj (Ostafrika) kamen und die
Sprache verstanden. Sie brachten Vieh und Reis mit und tauschten
es gegen Eisen ein. Er erwähnte auch, dass die Zenj selber
keine Schiffe hatten, sondern Boote aus Oman und Djawaga
nutzten. Mit Djawaga könnten die Komoren und Madagaskar
gemeint sein - aber auch Indonesien. Existierten damals
indonesische Kolonien an der ostafrikanischen Küste? Die Araber
nannten die indonesischen Seefahrer ab dem 10. Jahrhundert
Waq-Waq. (Dieses Wort ist womöglich im madagassischen Wort
vahoaka für Volk erhalten geblieben). Es ist nicht klar, ob
damit Leute aus Indonesien oder auch jene aus Madagaskar
bezeichnet wurden. Jedenfalls wird von einer richtiggehenden
Invasion von Booten aus Waq-Waq Mitte des 10. Jahrhunderts
berichtet, als die Seefahrer kamen, um Sklaven aus dem Lande
Zenj zu holen. Aus dem Jahr 1228 ist bekannt, dass in Aden eine
mit Auslegerbooten bestückte Flotte aus Qomr (Komoren oder
Madagaskar?) zurückgeschlagen wurde.
Vielleicht
kamen die Indonesier über den Norden des Indischen Ozeans mit
den Monsunwinden nach Ostafrika und gelangten von dort, bereits
mit afrikanischen Elementen vermischt, nach Madagaskar.
Jedenfalls existierten regelmässige Handelsfahrten zwischen
dem Roten Meer und Indien mit Bestimmtheit ab dem frühen 3.
Jahrhundert nach Christus und womöglich schon vorher. Die
Windverhältnisse des Monsuns waren damals bereits bekannt
und gar von einem griechischen Händler aus Alexandria
schriftlich im Buch 'Rundfahrt durch die Erythräische See'
niedergelegt worden, das nebst den angelaufenen Häfen auch
die Handelsprodukte und generelle Informationen der Küstengebiete
aufführt. Gemäss dieser Aufzeichnung reichte der Handel
entlang der Ostküste Afrikas bis nach Zansibar und noch südlicher
bis nach Mozambique. Warum sollte dieses Wissen nicht auch den
Indonesiern bekannt gewesen sein? Im 9. Jahrhundert, so
berichtet ein chinesisches Dokument, lieferte eine javanische
Handelsmission afrikanische Sklaven an den Hof von Peking.
Allerdings ist nicht bekannt, ob diese Händler die Sklaven
selber in Afrika geholt hatten oder sie über Zwischenhändler
bezogen wurden.
Das
Buch 'Rundfahrt durch die Erythräische See' macht nur
wenige Angaben über die Bewohner der in Ostafrika angelaufenen
Häfen. Doch werden mtepe-Boote (Boote mit erhöhten
Seitenwänden) erwähnt, die nicht arabischen Ursprungs
sind und womöglich mit Indonesien in Verbindung gebracht
werden können. Dieses Dokument erwähnt auch das Fangen
von Meeresschildkröten, was von Indonesiern gemacht wird,
aber nicht von Afrikanern. Ebenso werden Kokosplantagen
beschrieben, was als Indiz für indonesische Siedler gelten könnte.
Lebten also schon um das 3. Jahrhundert Indonesier an der
ostafrikanischen Küste? Es ist gesichert, dass Taro, Jamswurzel
und Banane bereits im 1. Jahrhundert nach Christus nach
Ostafrika kamen. Waren die Transporteure dieser Nutzpflanzen
indonesische Seefahrer? Oder kamen sie über Zwischenstationen
mit anderen Seefahrern nach Ostafrika?
Die
Küste Somalias und die südliche arabische Halbinsel waren
kommerzielle Drehscheiben für Händler aus Arabien, Persien
und Indien. Daraus entstanden an den Ankerplätzen der
maritimen Routen kosmopolitische Orte mit stark durchmischter
Bevölkerung. Insbesonders das goldhungrige Indien übte in
Ostafrika einen wesentlichen Einfluss aus. Al Idrisi schrieb im
12. Jahrhundert sogar, dass die Ostküste Afrikas von Indien
abhange.
Die
heute in Madagaskar festzustellenden afrikanischen
Kulturelemente stammen vom Volk der Bantu, das sich seinerseits
vor 1500 Jahren in starker Expansion befand. Zwischen dem 5. und
dem 8. Jahrhundert erreichte die Migration der Bantu, deren
Urheimat in der Region des Tschadsees liegt, den
ostafrikanischen Küstenstreifen, vielleicht schon ein oder zwei
Jahrhunderte früher. Dort mischten sie sich mit den bereits an
der Küste lebenden und unter arabischem Einfluss stehenden
Leuten -
und womöglich mit indonesischen Siedlern.
Schon
kurz nach Christus segelten arabische Händler der Ostküste
Afrikas entlang nach Süden, um Elfenbein und Sklaven zu holen
und auch Handelsstützpunkte zu errichten. Eine grosse
Zenj-Population fand sich in Mesopotamien als Sklaven, die im 9.
Jahrhundert revoltierte und daher aktenkundig wurde. Daraus ist
zu schliessen, dass schon weit vor dem 9. Jahrhundert arabische
Schiffe Sklaven aus Ostafrika holten.
Allmählich
entwickelte sich ein gemischtes Volk, verstärkt durch den
schnell zunehmenden Einfluss des Islam als Religion. Die Ostküste
Afrikas wurde ab dem Ende des 8. Jahrhunderts islamisiert. Die
Verkehrssprache swahili und ihre Kultur entstand ab 1000 nach
Christus als Mischung zwischen Bantu und Arabern.
Die
Stadt und das Sultanat Kilwa wurde 975 an der Ostküste Afrikas
(Zenj) von Persern gegründet. Vom 12. bis zum 16. Jahrhundert
war Kilwa die wichtigste Handelsstadt und Drehscheibe im
westlichen Indischen Ozean. Gehandelt wurden Sklaven, aber auch
Zimbabwe-Gold aus Sofala, das insbesonders in Indien einen
starken Absatz fand. Entlang der afrikanischen Ostküste
entwickelte sich ein reger Handel, sogar chinesische Schiffe
kamen bis nach Ostafrika, so 1270 nach Christus.
Diese
rege Tätigkeit strahlte auch nach Süden aus. Ein
kultureller Einfluss (Dembeni-Kultur) erstreckte sich im 10.
Jahrhundert von Ostafrika bis auf die Inseln der Komoren und
auch nach Nordmadagaskar (Irodo). Vielleicht waren die Bewohner
von Irodo arabisierte Bantu, die an der ostafrikanischen Küste
bereits indonesische Elemente aufgenommen hatten. Oder waren die
Irodo-Leute swahili-Bantu, in deren Umgebung aber direkt
eingewanderte Indonesier lebten und mit denen sie sich mischten?
Fand die Osmose der Kulturgenese an der ostafrikanischen Küste
oder in Madagaskar statt? Wo übernahmen die beiden Kulturen
ihre gegenseitigen Technologien und Konzepte?
Die
wohl wahrscheinlichste Theorie geht davon aus, dass indonesische
Seefahrer ab dem 1. Jahrhundert nach Christus aus Borneo langsam
gegen Westen aufbrachen. Auf Zwischenstationen - vielleicht über
mehrere Generationen hinweg - unterlagen sie verschiedenen Einflüssen
und gelangten allmählich bis nach Ostafrika. Aus Sri Lanka
und Indien sind indonesische Kolonien bekannt, die aus dem 12.
Jahrhundert stammen, Siedlungen mag es jedoch bereits wesentlich
früher gegeben haben. In Ostafrika sind bislang allerdings
keine archäologischen Funde bekannt, die auf eine
indonesische Kolonie hinweisen. Ebenso wenig sind in
Kontinentalafrika linguistische Spuren einer indonesischen Präsenz
nachweisbar - bislang jedenfalls. Die swahili haben jedoch
indonesische Kulturelemente übernommen, so das Auslegerboot und
die Kokosraffel. Die Existenz des Auslegerbootes in Indonesien,
in Süd-Indien, in Ostafrika (im Küstenbereich gegenüber den
Komoren) und in Madagaskar würde für diese Theorie sprechen.
Aus dieser Mischkultur setzten sich dann einzelne Bevölkerungsteile
nach Madagaskar ab.
Zu
diesen - nicht hinduisierten und Eisen besitzenden -
Proto-Madagassen wären dann weitere Wellen gestossen,
Indonesier und Bantu, die jeweils neue Elemente an Kultur und
Wissen einbrachten und sich mit den bereits auf Madagaskar
lebenden Menschen mischten.
Vielleicht
auch, so eine andere These, gelangten Bantu und Indonesier ungefähr
gleichzeitig an die Küste Ostafrikas. Die Indonesier wären
dann durch die gewaltige Expansionsdynamik der Bantu auf
afrikanischem Boden aufgesogen worden. Ein Teil davon, noch mehr
oder weniger 'reine' Indonesier, wären im Zeitraum von 500
bis 1100 nach Christus auf die Komoren und bis nach Madagaskar
gelangt.
Andere
Forscher propagieren die direkte Route: die Indonesier seien
6000 Kilometer über Wasser gekommen, getrieben von den subäquatorialen
Winden. Allenfalls hätten sie einen kleinen Umweg über die
Malediven eingeschaltet. Das afrikanische Element wäre dann
von später eingewanderten Afrikanern eingebracht worden. So
gab es zur Zeit der ersten portugiesischen Besuche im Norden
Madagaskars bantusprechende Siedlungen in der Bucht von
Anorontsangana. Dabei handelte es sich wohl eher um Flüchtlinge
aus Ostafrika, die in Madagaskar Zuflucht gefunden hatten. Es
erscheint unwahrscheinlich, dass diese Siedlungen einen
dermassen starken Einfluss auf die direkt aus Indonesien
kommenden Einwanderer haben konnten, um das afrikanische Element
dominant einzubringen. Auch Sklavenimporte aus Afrika konnten
diese Elemente nicht einbringen, zudem fanden sie im
wesentlichen erst im 18. Jahrhundert und später statt.
Die
Beziehungen mit der Aussenwelt blieben wahrscheinlich bis ins
13. Jahrhundert über Handelsaustausch und Seefahrten erhalten.
So kamen womöglich weitere Einwanderungswellen, vielleicht
unabhängig voneinander aus Indonesien und aus Afrika.
Daher
kann man in Madagaskar womöglich nicht von verschiedenen,
voneinander klar abgegrenzten Immigrationsphasen sprechen,
sondern von einem kontinuierlichen Einfliessen von Bevölkerungsteilen
aus Afrika und Indonesien.
Die
Vazimba werden in den oralen Überlieferungen als die ersten
Bewohner Madagaskars angesehen. Das Volk der Vazimba kannte das
Töpferhandwerk, pflanzte Reis in Brandrodungsfeldbau und
hielt Hühner. Vielleicht war auch schon eine Art Bewässerungsfeldbau
für den Reis bekannt. Das Zeburind nutzten die Vazimba weniger
als Fleischlieferant, sondern betrachteten es eher als ein
sakrales Tier, das nur bei religiösen Zeremonien
geschlachtet (sorom-belona lebendiges Opfer) wurde. Die Vazimba
betrachteten die Feigenbäume als heilig, dies hat sich bei
den Sakalava, aber auch bei den Merina bis heute so erhalten,
kurioserweise auch in Indien.
Die
Organisation beruhte auf dem Clan (foko), der die Nachkommen
eines gleichen - oft mythischen - Ahnen vereinte, was auf ein
indonesisches Konzept hinweist. Es galt Exogamie, die Ehepartner
mussten aus einem anderen Clan stammen. Die Vazimba waren eine
egalitäre Gesellschaft ohne Sklavenhaltung. Ein Totemismus
war nicht bekannt, in geringerer Weise existierte ein
Rinderkult. Stark ausgeprägt war jedoch der Ahnenkult.
Innerhalb eines Clans konnte ein mythischer Ahne zum
respektierten Anakandriana (Sohn von Andriana) werden. Die
Vazimba glaubten an einen Gott, Andriana genannt.
Gemäss
den oralen Traditionen der Merina waren die Vazimba die ersten
Bewohner des Hochlandes. Sie wurden von den nachstossenden
Merina gegen Süden ins Betsileoland vertrieben, wo sie von den
Betsileo freundlich und mit Reisspenden empfangen wurden. Später
wurden die Vazimba Richtung Westen abgedrängt und liessen
sich in den Bemaraha-Bergen an der Westküste nieder.
Entsprechend den Erzählungen der heutigen Bewohner der
Bemaraha-Region, die sich Vazimba nennen, kamen ihre Vorfahren
als Vertriebene aus Merinaland und lieferten zwar den Sakalava-Königen
Tributgaben, lebten aber ziemlich unabhängig vom Sammeln
von Pflanzen und Früchten, nur wenige bauten Maniok an. Die
heutigen Nachfahren leben in Dörfern am Fluss Manambolo und
sind grossgewachsene Leute mit Kraushaar, die ungefähr den
gleichen Dialekt sprechen wie die sie umgebenden Sakalava.
Die
These der Vazimba als urmadagassisches Volk ist allerdings
umstritten, möglich ist, dass sie einfach die Nachfahren
einer etwas älteren Einwandererwelle, aber nicht grundsätzlich
verschieden von den jüngeren Einwanderern waren.
Besser
bekannt sind spätere Niederlassungen von moslemischen Völkern
im Norden und Osten Madagaskars.
Im
10. Jahrhundert - vielleicht schon ab dem 7. Jahrhundert - gründeten
swahilisch-arabische
Händler, Antalaotra genannt (Leute des Meeres; von laut,
indonesisch für Meer), zahlreiche Handelsstationen an der
Nordostküste (Vohémar) und an der Nordwestküste Madagaskars:
Mahilaka, Nosy Manja, Langani, Boina. Sie waren in erster Linie
Händler, verbreiteten den Islam nicht und nannten das
persische Shiraz als ihren Herkunftsort. Die madagassische
Hauptstadt dieses auf den Meereshandel hin orientierte und aktiv
an einem weitgewobenen islamischen Handelsnetz teilnehmenden
Volkes war die Insel Manja im Mündungsdelta des Flusses
Mahajamba. 1598 wurde diese Stadt von den Portugiesen vollständig
zerstört. Die anderen Niederlassungen der Araber im Norden
wurden ebenfalls von den portugiesischen Schiffen ausgetilgt,
die ab 1500 in den Gewässern segelten.
Die
älteste bekannte Moschee Madagaskars findet sich in
Mahilaka (südwestlich von Ambanja in der Bucht von Ampasindava)
und stammt aus dem 12. Jahrhundert. (Diese ganze Bucht ist reich
bestückt mit Zeugen einer vergangenen moslemischen Präsenz,
wie auch die Küste um Mahajanga.) Der mit einem Fort von 150
Metern Seitenlänge schwerbefestigte und um die zehn
Hektaren grosse Ort Mahilaka verschwand ebenfalls im 16.
Jahrhundert. Ruinen der Häuser sind allerdings noch heute
erhalten.
In
Mahajanga blieben die Antalaotra auch nach dem Erscheinen der
Portugiesen aktiv. Sie dienten den Sakalava-Königen von
Boina als Handelsagenten für Import und Export.
Die
Araber führten das Fettschwanzschaf ein. Die Neubenennung des
Rindes mit dem swahili-Wort omby hatte vielleicht die Aufhebung
eines Vazimba-Tabus gegenüber Rindern zur Folge, wodurch
Viehzucht und das Konsumieren von Zebufleisch ermöglicht
wurde. Seltsamerweise wird in der madagassischen Sprache das
Wildschwein mit Lambo bezeichnet, was in indonesischen Sprachen
Rind bedeutet. Hatten die ersten Einwanderer Madagaskars das
Wort einfach dem grössten angetroffenen Tier gegeben - oder
lag ein tabu vor?
Die
Araber brachten mit Handel und Markt und durch ihre
Niederlassungen auch swahili-Worte, die sich bis heute erhalten
haben. Einige Worte und Bezeichnungen haben sich nur an der
Westküste gehalten: abily (Sklave), mahogo (Maniok), mpira
(Kautschuk), mboa (Hund). Andere sind in die Sprache ganz
Madagaskars eingegangen: angano (Erzählung), amapingo
(Kette), angomby (simplifiziert als omby für Rind), arahaba (Gruss),
gony (Sack), kiso (Messer). Ein paar Worte haben allerdings
einen anderen Sinn erhalten.
Archäologische
Funde zeigen, dass die ganze Nordküste von Maintirano bis nach
Antongil aktiv im Seehandel einbezogen war, die Handelskontakte
reichten nach Afrika, Arabien, zum Persischen Golf bis hin nach
Nord- und Südindien, aber auch ins madagassische Hochland
hinauf. Im Nordwesten und Nordosten sind viele Fundstellen
swahilischen Ursprungs aus dem 10. Jahrhundert erhalten,
insbesonders im Nordosten und Osten, wo Steinmetzarbeiten aus
Seifenstein angefertigt wurden. Besonders in der Region um Vohémar
fand man rund ein Dutzend Steinbrüche für Seifenstein aus dem
13. Jahrhundert. Die schweren Steine wurden auf Drehscheiben in
den Küstenorten bearbeitet. Hergestellt wurden Dreibeinkochtöpfe,
Schalen, Lampen, Becken. Der weiche und leicht zu bearbeitende
Seifenstein verhärtet sich an Luft und durch Hitze.
Vielleicht wurde gar ein Teil der Produktion exportiert, denn
Seifensteinarbeiten gleichen Typs aus dem 9. bis zum 15.
Jahrhundert finden sich überall an den Küsten im westlichen
Indischen Ozean. In Ruinen bei Vohémar fand man ägyptische
Münzen aus dem Jahr 1137, ebenso wie Porzellan aus China, das
ab dem 15. Jahrhundert in grossen Mengen in Madagaskar eingeführt
wurde.
Irodo
(zwischen Vohémar und Diégo-Suarez) war womöglich der
erste Landungspunkt der Moslem in Madagaskar. Jedenfalls ist
Irodo die nördlichste bislang bekannte islamische Stätte
Madagaskars. Die Einwanderer folgten dann der Küste bis nach
Vohémar. Diese wichtige Stätte wurde vielleicht - wie der
Reisende Mayeur im 18. Jahrhundert berichtet - durch einen
Zyklon zerstört.
Andere
Moslem gründeten kleine Kolonien und lokale Königreiche an
der Ostküste: als erste liess sich eine moslemische Gruppe im
Nordosten der Insel nieder. Nach den Aufzeichnungen von Flacourt
(17. Jahrhundert) nannten sich diese Einwanderer Zafy-Ibrahim
(Kinder von Ibrahim) und kamen gegen 1100 nach Irodo oder Vohémar
(Iharambazaha) und bewohnten dann die Insel Ste. Marie.
Die
vielleicht um oder gar vor dem Jahr Tausend ankommenden
islamischen Einwanderer, die Rasikazy, hinterliessen Steinbrüche
im Norden Madagaskars. So unter anderem trogartige Becken aus
Seifenstein. Vielleicht wurde auch der 'Elefant von Ambohitsara'
(nördlich von Mananjary) von den Rasikazy angefertigt.
Eine
weitere Einwandererwelle - wahrscheinlich via Nordostküste -
geschah durch die Zafi-Raminia (Nachkommen des Raminia) im 12.
oder 13. Jahrhundert. Ein Teil dieser Leute liess sich in der
Region von Mananjary (Antambahoaka) nieder, der andere Teil im Südosten
bis nach Fort-Dauphin. Laut den eigenen Aussagen stammen sie von
der Malabarküste (Südwestindien) oder aus Mekka. Vielleicht
sind sie sogar Nachkommen von den alten indonesischen Siedlungen
in Südindien.
In
dieser Region nördlich von Mananjary gibt es auch die in
den alten Schriften (Sorabe) festgehaltene orale Tradition von
Darafify (rotgefärbte Wange), ein mythischer Riese und
Kulturheroe oder ein legendäres Volk, dessen Spuren von
Mananara-Nord (zwischen Tamatave und Maroantsetra) (Blasebalg für
Eisenschmiede), den steinernen Fischmörser von Sakaleo bis
zum vato sary lambo ('Steinelefant') von Ambohitsara reichen.
Womöglich
waren die Darafify eine erste Gruppe von islamisierten
Einwanderern, die ab dem 7. Jahrhundert im Südosten Madagaskars
einwanderten.
Erst
später kamen die islamisierten Antaimoro, die der Insel
einen wesentlichen Impuls gaben. Die um das 15. oder 16.
Jahrhundert eingewanderten
Antaimoro (Leute des Ufers) liessen sich entlang des kleinen
Flusses Matitanana bei Vohipeno nieder und drückten die
dortigen Bewohner nach Süden. Die Herkunft der moslemischen
Antaimoro (Zafi-Kazimambo) ist unklar: Ostafrika, Arabien,
Indien oder Indonesien? Sie selber sehen sich als Noble aus
Mekka. Jedenfalls übten die Antaimoro, laut Flacourt eine Art
islamische Missionare, auch auf die soziopolitische Struktur des
Hochlandes (Merina, Betsileo) einen wesentlichen Einfluss aus.
Einzelne Gruppen der Antaimoro - wohl aufgrund interner Machtkämpfe
- wanderten weiter und gründeten Königreiche entlang des
Flusses Matitanana und bis hoch zu den Tanala (Leute des
Waldes). Einige Forscher behaupten, dass Teile dieser
Neueinwanderer auf das Hochland gelangten, die Herrschaft über
die dort lebenden Vazimba übernahmen und durch ihre
politischen, religiösen und magischen Konzepte die
hierarchisierten Königreiche ermöglichten. (Die
Betsileo führen ihre erste Herrscherdynastie auf die Ostküste
zurück und könnten damit die Antaimoro meinen.)
Die
Antaimoro brachten nebst astrologischem und magischem Wissen
auch die Schrift mit. Flacourt erwähnte 1661, dass die
Kenntnis der arabischen Schrift schon seit 200 Jahren existiere.
(Schreiben auf madagassisch heisst soratra, auf malaiisch sourat
und auf javanisch serat.) Auch der grosse König
Andrianampoinimerina hatte Magier und Schriftgelehrte aus dem
Volk der Antaimoro in seinen Diensten.
Einige
Antaimoro haben heute noch Kenntnis des arabischen Alphabets, um
damit in madagassischer Sprache die Sorabe (grosse Bücher oder
grosse Schrift) zu lesen und zu schreiben. Diese Kundigen (katibo)
der arabischen Schrift werden als Hüter des traditionellen,
jahrhundertealten Wissens hoch geachtet. Der Inhalt der ab dem
8. Jahrhundert entstandenen Sorabe sind Suren aus dem Koran,
magische Formeln und historische Traditionen. Die alten Sorabe
sind in Rindsleder gefasst und tragen Namen entsprechend der
Farbe des Fells, zum Beispiel 'imavu' (gelb). Die Sorabe wurden
in Jahrhunderten immer und immer wieder kopiert, daher haben
sich auch Schreibfehler und Ungenauigkeiten eingeschlichen. (Auf
den heutigen 5000 FMG Banknoten findet sich eine Darstellung
eines Sorabe-Buches.)
Die
Chefs der Zafi-Raminia gründeten ihrerseits ebenfalls
Dynastien, die sich in drei Richtungen aufspalteten und drei Völker
entstehen liessen: Antaisaka im Osten bei Mananara, Bara im
Zentrum bei Ihosy, Antandroy und Mahafaly im Süden, und die
Sakalava im Unterlauf des Mangoky (Region Morombe). Im 17.
Jahrhundert eroberten die Sakalava die Westküste und gründeten
zwei grosse Reiche: Menabe und Boina.
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