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PRIORI, das Reisebüro für und in Madagaskar

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Madagaskar, das PRIORI-Buch

Franz Stadelmann

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Madagaskar: Symbiose zwischen Gestern und Heute

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Einflüsse von Aussen: Europäer vor 1800

Ausgehend von der Grafschaft um Porto dehnte sich Portugal im Zuge der iberischen Reconquista allmählich nach Süden aus. Die Rückeroberung der spanischen Halbinsel von den Mauren endete 1492 mit der Einnahme von Grenada.

Noch während die spanischen Königshäuser in die Kämpfe mit den Mauren beschäftigt waren, hatte Heinrich der Seefahrer (1394 - 1460) sein Augenmerk bereits auf die Umrundung Afrikas gerichtet und eine Seefahrtsschule eingerichtet. Ziel war einerseits die Weiterführung der Reconquista, aber ebenso die Umgehung des Gewürzmonopols der Araber und Venezianer. Gewürze wie Pfeffer und Muskat waren unübertroffene Luxusprodukte jener Zeit: sehr selten und äusserst kostbar. Zudem waren die Gewürze horrend teuer geworden, seit die Türken (Osmanisches Reich) sich im Nahen Osten festgesetzt hatten. Nebst Gewürzen waren auch Sklaven und Gold von Interesse. Auf der Suche nach diesen begehrten Gütern hatten sich portugiesische Seefahrer seit Mitte des 15. Jahrhunderts langsam der afrikanischen Küste entlang nach Süden vorgetastet.

Gegen Ende des 15. Jahrhunderts ging alles sehr schnell. Plötzlich lagen lang ersehnte Horizonte in Griffnähe. Christoph Kolumbus erreichte 1492 in spanischen Diensten Mittelamerika. Doch schon 1488 hatte der Portugiese Bartolomeu Diaz die Südspitze Afrikas umsegelt. Die Fahrt von Portugal nach Kapstadt und zurück hatte über 16 Monate gedauert und der Mannschaft äusserste Strapazen abverlangt. Durch diese Pionierfahrt war der Indische Ozean für die europäischen Entdecker und Forscher, Händler und Militärs offen. 1494 teilte der Papst Alexander VI die Welt in eine portugiesische und eine spanische Hälfte.

1498 startete Diaz erneut mit 14 Schiffen. Vasco da Gama erreichte Indien, durch die Winde des Südwestmonsuns getrieben und von einem angeheuerten arabischen Lotsen geführt. Eines der Segelschiffe wurde von seinem Bruder Diego kommandiert, der Madagaskar - eher zufällig - 'entdeckte'.

Im 16. Jahrhundert stieg Portugal zur unbestrittenen Seemacht auf der Gewürzroute nach Indien und Ostasien auf. Sofort begann das junge Königreich entlang der afrikanischen Küste Festungen einzurichten, die als Umschlagplätze, Handelsorte und Nachschubbasen dienten. In Indien entstand ein portugiesisches Vizekönigreich (Estado da India; 1505 - 1515).

1580 bis 1640 war Portugal Bestandteil des Vereinigten Königreichs Spanien-Portugal. Dies trug nicht zur Stärkung der portugiesischen Gewürzroute bei. Zudem wurde die spanische Armada 1588 im Ärmelkanal von der englischen Flotte vernichtend geschlagen. Denn schon setzten andere Mächte zum Angriff auf das portugiesische Gewürzmonopol und auf die spanischen Niederlassungen in Amerika an: Niederlande, England und Frankreich.

1602 wurde die holländische Ostindische Kompanie gegründet, die mit buchhalterischem Kalkül und verbissener Zielstrebigkeit einen wesentlichen Anteil am blühenden Weltmarkt eroberte. Die Portugiesen wurden 1609 von den Holländern aus Ceylon vertrieben. Holland wurde im 17. Jahrhundert mit Antwerpen und Rotterdam zur ersten Welthandelsmacht.

Die Engländer setzten sich mit ihrer Ostindischen Kompagnie in Madras (1639), Bombay (1661) und Kalkutta (1696) fest. England entwickelte sich zusehends zur führenden Kolonial- und Seemacht.

Spanien war mit Mittel- und Südamerika beschäftigt. Ab 1561 verkehren die Silberflotten im Geleitzug, denn sie waren vermehrt englischen, niederländischen und französischen Angriffen ausgesetzt.

In Frankreich trieb der Finanzminister Colbert (1619 - 1683) die Förderung der Seefahrt voran. 1664 gründete Colbert die Ostindische Kompagnie und liess Niederlassungen in Madagaskar, Bourbon (La Réunion) und in Südostindien erstellen.

1713 beendete der Friede von Utrecht den Spanischen Erbfolgekrieg, in dem England, Frankreich, Österreich und die Niederlande beteiligt waren.

Diese eher innereuropäischen Ereignisse wirkten sich bis an die Gestade Madagaskars aus. So ankerten im 16. Jahrhundert vor allem portugiesische Schiffe in den Buchten Madagaskars, die erste Handelskontakte herstellten und Missionare und Forschungsreisende an Land setzten. Doch schon 1527 segelte ein französisches Schiff aus Dieppe in den Küstengewässern vor Madagaskar.

Im 17. Jahrhundert besuchten vorwiegend holländische Flotten die Insel, die ab Mitte des 17. Jahrhunderts von französischen und sporadisch auch von britischen Schiffen angelaufen wurde. Ziel der Flottenbesuche war die Beschaffung von Nahrungsmitteln und Wasser, in geringerem Mass auch der Kauf von Sklaven. Siedlungsversuche wurden nur selten unternommen.

Der Navigator Diego Diaz, von einem Unwetter verirrt, stiess am 10. August 1500 auf die Nordküste eines bislang den Europäern unbekannten Landes und nannte es Sao Lourenço. In Portugal war man überzeugt, eine von Marco Polo erwähnte Insel gefunden zu haben und zeichnete sie schon 1502 auf den Seekarten ein. Erst später, im 17. Jahrhundert, setzte sich der auf Marco Polo zurückgehende Name Madagaskar durch, der damit 1298 jedoch eher Mogadischu gemeint haben mochte. Zu verschiedenen Zeiten wurden ganz unterschiedliche Namen für Madagaskar gebraucht: die arabischen Geographen des 10. Jahrhunderts nannten die Insel Djafona, El Qomr und Serendah. Die europäischen Seefahrer tauften sie Sao Lourenço (1500), Alioa (1506), Saint-Georges (1540), Pacras (1575), Ile Dauphine (1665).

Die älteste bekannte Karte Madagaskars wurde vom arabischen Geografen Edrici 1153 gezeichnet. 1459 fertigte der Italiener Fra Mauro eine Karte an und 1492 erstellte der Deutsche Martin Behaim einen Globus entsprechend den damaligen Kenntnissen und den Erzählungen von Marco Polo und zeichnete die mythische Insel Madagaskar darauf ein. Der portugiesische Geograf Pedro Reinel gab 1517 mit seiner Karte bereits die ungefähren Umrisse Madagaskars.  Auf den Karten von Alphonse le Saintongeois (1545) und Guillaume le Testu (1555) lassen sich schon mehr Details erkennen, obwohl auch sie noch am Rande der Phantasie anzusiedeln sind. Doch schon die Karten von Gastaldo (1567) und Mercator (1569) lassen keinen Zweifel mehr über die Form der Insel. Flacourt hinterliess in seiner Beschreibung Madagaskars im 17. Jahrhundert ebenfalls eine Karte. Das Landesinnere wurde allerdings noch während langer Zeit nicht kartographiert.

Die Missionsbestrebungen blieben erfolglos. Die katholischen Portugiesen schafften es im 16. Jahrhundert nicht, die Antanosy (Zafi-Raminia des Süd-Ostens) zu bekehren und hatten auch kaum Erfolg in der Vertreibung der arabischen Händler, obwohl sie die arabischen Handelsstädte im Nordwesten wiederholt zerstörten.

Die Portugiesen brachten neue Anbauprodukte nach Madagaskar, so Mais, Maniok und vielleicht auch die Süsskartoffel.

Dominikanische Missionare wirkten im 16. Jahrhundert in der Gegend des portugiesischen Forts im Land der Antanosy bei Fort-Dauphin. 1540 wurden sie während eines Festes zusammen mit den 70 portugiesischen Colons umgebracht. Der portugiesische Pater Jean St. Thomé versuchte im Nordosten der Insel zu missionieren, wurde jedoch 1585 vergiftet.

Erst 1613 machten zwei Jesuiten unter dem aus Brescia (Italien) stammenden Paters Luis Mariano in Ranofotsy (bei Ste. Luce nördlich von Fort-Dauphin) einen neuen Missionierungsversuch. Voller Tatendrang bauten sie eine Kirche und errichteten zwei grosse Kreuze. Doch infolge des arroganten Auftretens der portugiesischen Seeleute mussten sie den Rückzug antreten, nahmen aber den etwa 14-jährigen, einzigen Sohn des Lokalkönigs nach Goa mit - bis 1616 waren die portugiesischen Missionare Goa unterstellt, später Mozambique. Der junge Madagasse wurde Don Andréa genannt, und unter der Obhut von Pater Mariano lernte er die portugiesische Sprache und wurde im christlichen Glauben unterrichtet. 1616 brachten ihn die Portugiesen wieder zurück, doch die Seeleute verärgerten einmal mehr den noch lebenden Vater und mussten sich in aller Eile zurückziehen. Der wackere italienische Priester Mariano blieb allein zurück und lebte während elf Monaten im Land, musste sich allerdings aus der Region von Ste. Luce wegbegeben. Der wagemutige Jesuit schlug sich zur Westküste durch und gelangte 1619 mit einem Handelsschiff nach Mozambique. Luis Mariano hinterliess Aufzeichnungen seiner Abenteuer und Beobachtungen, die heute wichtige Informationsquellen über jene Zeit darstellen.

Für die Portugiesen war Madagaskar im 17. Jahrhundert (ab 1620) nur noch als Lieferant von Rindern und Reis für die Niederlassungen in Mozambique interessant. Siedlungsversuche wurden keine mehr unternommen.

Schriftliche Zeugnisse aus jener Zeit sind selten und beschränken sich oft nur auf die kurzen Landkontakte, welche die Schiffsbesatzungen und die sie begleitenden Reisenden hatten. So ist aus dem 17. Jahrhundert ein Text eines Matrosen erhalten, der die Fahrt von Mozambique zur nordwestlichen Küste Madagaskars beschreibt.

Der Franzose David Williams wurde um 1690 an Land gespült und von einem Antaimoro-König zum General gemacht, bis er sich auf das Piratenschiff Bedford retten konnte und selber Pirat wurde. Er wurde schliesslich in der Bucht von Boina getötet.

Freiwilliger Art war der Aufenthalt des Franzosen François Cauche. Er verliess 1638 in Ste. Luce ein französisches Schiff und durchwanderte während 6 Jahren den Süden Madagaskars. In der Folge hinterliess er eine Beschreibung des Landes und ihrer Bewohner, so schilderte er unter anderem auch eine Beschneidungsfeier bei den Antanosy.

Etliche Europäer, deren Namen nie bekannt oder längst vergessen sind, hatten ebenfalls unfreiwillige längere Aufenthalte in Madagaskar. Nicht alle schafften die Rückkehr in die Heimat. Denn immer wieder strandeten Schiffe an den Gestaden Madagaskars. So etwa der englische Matrose Robert Drury, der 1702 schiffbrüchig in der Region des Südkaps an die Küste von Antandroy gespült wurde. Während seine rund 160 Kumpane sofort umgebracht wurden, wurde der 15-jährige Drury zum Sklaven und Viehhüter gemacht. Erst nach 16 Jahren schaffte er es bis nach Saint-Augustin und dort auf ein europäisches Schiff zu gelangen. Er hatte die Kenntnis der englischen Sprache vollkommen vergessen. Von seinen Abenteuern hinterliess er 1729 farbenreiche Aufzeichnungen, die danach in mehreren Auflagen immer wieder publiziert wurden. Wie auch 1793 und 1794 ein anonymer Überlebender des 1792 gestrandeten Schiffes Winterton in der damals weitverbreiteten britischen Zeitschrift Gentleman's Magazine seine Erlebnisse im Süden Madagaskars schilderte. Georges Buchan, ein weiterer Überlebender der Winterton, publizierte seine Beobachtungen erst 1820 mit dem Ziel, seine Dienste der jungen London Missionary Society zur Verfügung zu stellen.

In Madagaskar hinterliessen diese Gestrandeten - ausser gelegentlichen Nachkommen - keine Spuren. Doch schiffbrüchige Portugiesen errichteten 1527 in der Nähe von Fort-Dauphin ein burgartiges Gebäude. Von den 65 Matrosen überlebten nur 5 Mann, die Jahre später auf einem portugiesischen Schiff die Insel verliessen. Die heute noch erhaltene Ruine dieses portugiesischen Forts, das tranovato (Steinhaus), gilt als das älteste Haus Madagaskars. (Ein weiteres portugiesisches Fort existierte womöglich in der Bucht von Saint-Augustin bei Soalara, jedenfalls ist im Atlas von Mercator (1569) ein Cuara genannter Ort eingezeichnet.) Ein versprengter Teil einer Gruppe von 600 schiffbrüchigen Portugiesen soll im 16. Jahrhundert bis ins Isalo-Gebirge gelangt sein und dort in einer Höhle gewohnt haben, die heute noch 'portugiesische Grotte' genannt wird.

Auch für die Holländer war Madagaskar nur ein Nebenschauplatz, ihr Hauptinteresse war auf Ostindien gerichtet. Auf der ersten Seeexpedition der Holländer in den Indischen Ozean - 1595 - 1597 - ging zwar Cornelis van Houtman in Madagaskar an Land, so in Saint-Augustin und in Antongil. Der unzimperliche Houtman allerdings hinterliess oft Schutt und Asche und seine in Antongil errichtete Handelsstation hatte keinen Erfolg.  Er nannte übrigens Madagaskar 'coemiterium batavorum' (Friedhof der Holländer). Trotzdem wurden zwei weitere Expeditionen gestartet, eine davon wurde erneut von Houtman geleitet und ankerte 1599 in Saint-Augustin, ohne allerdings Handel treiben zu können, weil die Bewohner flohen. In späteren Jahren trafen einige seiner Landsleute noch immer auf feindliche Bewohner und ihre Niederlassungen hatten keinen Erfolg. Doch die holländischen Kontakte blieben auf die Ostküste und dort vornehmlich auf die Bucht von Antongil beschränkt. Dies einerseits aufgrund eines holländischen Abkommens von 1641 mit Portugal, andererseits suchten die Holländer den Kanal von Mozambique zu meiden, weil sie im 17. Jahrhundert mehrere Male in Krieg mit Portugal waren. Selten nur legten Schiffe des niederländischen Monopolunternehmens - Verenigde Oostindische Compagnie (VOC) - in den 1630er Jahren in der Bucht von Saint-Augustin an. Nach 1617 hielten sich die VOC-Schiffe auf ihren Ostasienfahrten eher im südlichen Teil des Indischen Ozeans auf und nutzten die starken Winde der 'roaring forties' für eine schnelle Fahrt nach Batavia. Nur die zurückkehrenden Schiffe segelten näher an Ostmadagaskar heran. 1645 wurde in der Bucht von Antongil eine kleine Station errichtet, doch schon nach wenigen Monaten aufgegeben. Bis 1660 war den Holländern eigentlich nur die Bucht von Saint-Antongil bekannt.

Die junge Seemacht Holland schickte ihre Schiffe zwar bis Mitte des 18. Jahrhunderts an die Ostküste, um ab 1638 Nachschub (Reis und Sklaven) für ihre Niederlassung in Mauritius zu holen. Doch als die Holländer 1712 Mauritius aufgegeben hatten, entglitt Madagaskar ihrem Interesse, sie konzentrierten sich eher auf ihre Siedlung am Cap, die 1652 gegründet worden war. In einer kurzen Phase allerdings besorgte sich auch die Siedlung am Kap Nachschub in Madagaskar.

Ein britisches Schiff ankerte schon 1529 in der Bucht von Manambolo (bei Maintirano). Die Mannschaft stiess erst auf einen freundlichen Empfang, der aber am folgenden Tag in eine Attacke umschlug. Als die 'Golden Hind' von Sir Fancis Drake ihre Weltumseglung machte, kam sie 1580 von Osten her über den Indischen Ozean und ankerte zwar nicht vor Madagaskar, doch das britische Interessen an dieser Weltgegend war erwacht. Die 1601 neugegründete East India Company in London sandte sogleich eine neue Expedition mit vier schwerbewaffneten Schiffen aus, die 1601 in Ste. Marie und in Antongil ankerten. Der Kontakt blieb allerdings auf Handel und Gütertausch beschränkt. Die Briten versuchten vergebens, im Westen Fuss zu fassen. So scheiterte auch John Smart, der sich 1645 in Soalara (Bucht von Saint-Augustin) mit 140 Männern, Frauen und Kindern niederliess. Doch Nachschubprobleme, Krankheiten und ein ständiger Kleinkrieg liessen 1646 die überlebenden 60 Personen enttäuscht absegeln.

Die Franzosen hingegen machten über Jahrhunderte hinweg mehrere Versuche, sich in Madagaskar auf Dauer niederzulassen. Die Compagnie française des Indes Orientales wurde 1642 von Kapitän Rigault gegründet und mit wertvollen Privilegien von Kardinal Richelieu ausgestattet.

1642 setzte sich der Franzose Pronis, gesandt von der Ostindischen Compagnie, im Südosten bei Ste. Luce fest, wobei er sich auf die Ortskenntnisse von Cauche stützen konnte. Ein Jahr später (1643) hatte er einen idealeren Siedlungsplatz gefunden und gründete Fort-Dauphin, benannt nach dem späteren König Louis XIV. Noch im gleichen Jahr verbannte er ein paar Meuterer nach Bourbon (La Réunion). Sie wurden die ersten - wenn auch unfreiwilligen - Siedler der bis anhin unbewohnten Insel östlich von Madagaskar.

Der Hugenotte Pronis hatte mit der Unzufriedenheit der Mannschaft und der Feindseligkeit der umliegenden Bevölkerung, mit mangelndem Nachschub und lähmenden Krankheiten zu kämpfen. Den Anforderungen der Compagnie scheint er jedenfalls nicht gerecht geworden zu sein und wurde abgelöst. Seinem Nachfolger, Etienne de Flacourt, gelang die Organisation der kleinen Niederlassung offenbar wesentlich besser, obwohl er und seine Mannschaft ab 1648 für 7 Jahre vergessen in Fort-Dauphin lebten. (In Frankreich, das sich im Dreissigjährigen Krieg engagiert hatte und sich nahtlos in einen Krieg gegen Spanien einliess, war 1648 zudem ein Bürgerkrieg ausgebrochen, wodurch eine unbedeutende Siedlung wie Fort-Dauphin völlig in den Hintergrund trat.)

Flacourt veröffentlichte nach seiner Rückkehr 1658 sein Werk 'Geschichte der Grossen Insel von Madagaskar', das erste schriftliche Dokument, das gemäss den damaligen Kenntnissen ausgiebig über die Insel, seine Bewohner und Ressourcen Auskunft gab und eine Liste von 3500 madagassischen Wörtern umfasste. Dieses Werk blieb während über 200 Jahren die einzige umfassende Quelle an Informationen über Madagaskar.

In die Zeit von Flacourt fällt auch das erste gedruckte Buch in lateinischen Buchstaben und in madagassischer Sprache (ausser den von Hand und in arabischen Schriftzeichen geschriebenen Sorabe!): der Katechismus von 1657, geschrieben 1650. Die Autoren, die lazaristischen Missionare Charles Nacquart und Nicolas Gondrée kamen im Dezember 1648 zusammen mit Flacourt nach Fort-Dauphin, wo sie auch Don Andréa vorfanden, der ins 'Heidentum' zurückgefallen war. Die Missionstätigkeit der beiden Lazaristen hatte wenig Erfolg.

Gondrée starb 29-jährig schon nach sechs Monaten, der 33-jährige Nacquart starb 1650 an Fieber nach nur 18 Monaten Aufenthalt. Wenn sie auch nur wenige Seelen bekehrt hatten, so hinterliessen sie doch ein christliches Lehrbuch in madagassischer und französischer Sprache. Dabei nahmen sie sich interessanterweise nicht den damals überaus bekannten und geschätzten Katechismus des spanischen Missionars Franz-Xaver (1506 - 1552), der für die Portugiesen in Indien gewirkt hatte, zum Vorbild.

Sie gebrauchten oft islamische Wörter, die ihre madagassischen Helfer wohl aus den Sorabe kannten. Jesus übersetzten sie mit dem islamischen Wort Rahÿssa (Ra-Isa). (In späterer Zeit wurde für Gott das Wort Javeh gebraucht.) Schwierig - oder unmöglich - war die Beschreibung des Konzepts der Heiligen Dreifaltigkeit. Gott umschrieben sie mit dem madagassischen Wort Zanahary, das eng mit dem Toten- und Ahnenkult verwoben ist. Für Geist benutzten sie das madagassische Wort ambiroa, was die Geister der Toten bezeichnet, die in den Grabstätten hausen. Diese Wortprobleme lassen sich durch die Schwierigkeit erklären, madagassische Wörter für christliche Sinngehalte zu finden. Auch für die Bezeichnung Kirche irrten sie sich: sie nutzten das madagassische Wort fivourinih vazaha, was Versammlung der Fremden / Weissen / Europäer bedeutet. Christ wurde durch vazaha (Fremder / Weisser / Europäer) übersetzt.

Doch die Beziehungen der kleinen Siedlung in Fort-Dauphin mit den Antanosy der Umgebung verschlechterten sich, Bekehrungen wurden nicht gemacht, die Sterbequote der Missionare, Siedler und Soldaten war sehr hoch. Als Flacourt seinen Posten in Fort-Dauphin 1655 verbittert verliess, errichtete er eine Stele mit der Inschrift: cave ab incolis (Pass vor den Einheimischen auf). (Aus dem 16. und 17. Jahrhundert sind etliche Schriften von europäischen Reisenden und Seefahrern erhalten, die Urteile über die Madagassen abgeben: sie reichen von sanft und freundlich bis zu brutal und barbarisch.)

Einzig der Major La Case, durch Heirat madagassischer Prinz geworden, konnte sich unter den Völkern des Südens ein bestimmtes Mass an Ansehen erwerben. An ihrer Spitze unternahm er Feldzüge im ganzen Süden der Insel, bis er 1671 starb. Die Siedlung in Fort-Dauphin siechte dahin: Massaker, Verrat, Hunger und Krankheit dezimierten die restliche Mannschaft.

1664 gründete Colbert die neue Compagnie des Indes Orientales und schickte vier Schiffe mit 400 Mann nach Madagaskar. Weitere Schiffe folgten, sodass Fort-Dauphin um die 2000 Personen zählte. Zu deren Ernährung wurden Reiskäufe entlang der ganzen Ostküste getätigt, organisiert von François Martin, dem späteren Begründer von Pondicherry in Indien. Diese Expeditionen führten Martin bis in die Region von Fénérive und sogar ins Landesinnere zum Lac Alaotra. Doch die Compagnie war ihm für diesen Einsatz nicht sonderlich dankbar.

Die Siedlung Fort-Dauphin stand nach wie vor unter einem ungünstigen Stern. 1674 wurde die halbe Garnison von Fort-Dauphin massakriert, der Rest der überlebenden Soldaten und Colons und die zwei letzten Lazaristen verzogen sich daraufhin nach Bourbon (La Réunion), wo inzwischen ebenfalls eine französische Siedlung entstanden war.

Damit waren die Siedlungsversuche der Franzosen und die Missionsbestrebungen der Katholiken endgültig gescheitert, sie wurden erst 150 Jahre später im 19. Jahrhundert wieder ernsthaft aufgenommen.

Von 1674 bis 1800 gab es nur noch drei französische Missionsversuche: jene von Noël-Alexandre de Noinville du Gléfier (1735/36) in Antongil, wo die Franzosen noch einen kleinen Handelsposten unterhielten. 1736 starb du Gléfier. Sein Landsmann Gabriel du Rocher versuchte es erneut in Fort-Dauphin. Er war mit einem französischen Handelsschiff aus Mauritius entlang der Ostküste unterwegs, blieb dann 6 Monate in Fort-Dauphin, kehrte danach nach Mauritius zurück. Er veranlasste 1785 eine revidierte Neuauflage des Katechismus von 1657 und schickte drei Madagassen in ein Priesterseminar nach Rom. Auf Bestreben von Gabriel du Rocher ging 1791 der Lazarist François-Marie Halnat mit einem der drei in Rom ausgebildeten Madagassen an die Ostküste, wurde aber schon nach neun Monaten Aufenthalt wieder nach Mauritius zurückbefohlen.

Madagaskar wurde ein Freigebiet und Tummelplatz für die europäischen Piraten. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts setzten sich französische und britische Piraten an der Ostküste und in Ste. Marie fest. Ihre Mischlingsnachkommen traten als Lokalchefs auf und mischten aktiv in der lokalen Politik und in Kriegen mit.

Die Handelsbeziehungen mit Madagaskar jedoch blieben bestehen. Die Franzosen, die sich 1662 in Bourbon (Réunion) und 1721 die von den Holländern 1712 verlassene Ile de France (Mauritius) festgesetzt hatten, kamen immer wieder nach Madagaskar, um Reis, Rinder und Sklaven zu holen. Ab 1750 gehörte Ste. Marie ihnen.

Zweimal versuchten sie noch Fuss zu fassen: 1768 - 1771 in Fort-Dauphin mit dem Compte Modave und 1774 - 1776 in der Bucht von Antongil mit Benyowski. Beide scheiterten.

Man schätzt, dass zwischen 1506 und 1776 etwa hundert geschichtlich bekannte Schiffe nach Madagaskar kamen. um Handel zu treiben. Doch insbesonders auf der verkehrsgünstig gelegenen Insel Nosy Ve in der Bucht von Saint-Augustin bei Tulear legten die Handelsschiffe gern einen kurzen Zwischenhalt ein. Diese Insel wurde wohl mehr angelaufen als die ebenfalls beliebte Bucht von Antongil. (Für einen lazaristischen Missionar in Fort-Dauphin war dies ein Argument für die Eröffnung eines Postens in Saint-Augustin, um dadurch seinem Mutterhaus zwei- oder dreimal pro Jahr Briefe schicken zu können. Tatsächlich bestanden in den 1660er Jahren mehrere Pläne einer französischen Besiedlung von Saint-Augustin von Fort-Dauphin aus. Diese Projekte wurde nie verwirklicht, denn die kleine Siedlung in Fort-Dauphin hatte genug eigene Probleme.)

Während im 16. und 17. Jahrhundert die - oft noch phantasievollen - Karten kopiert wurden, erschien erst 1776 mit der Karte des Seemannes Après de Mannevilette wieder eine neue Karte mit ziemlich genauen Umrissen der Insel Madagaskar. Aber auch er wiederholte die Fehler seiner Vorgänger betreffend des Landesinneren. So hatte 1567 Gastaldo die Insel von Nord nach Süd von einer Bergkette durchlaufen lassen. Diese Bergkette figurierte auf allen Karten bis 1871, als Grandidier aufgrund eigener Beobachtung und Reisen eine wirklichkeitsgetreuere Landkarte herstellte.

Im 17. Jahrhundert gab es nur drei kurze, bekannte Expeditionen bis ins Hochland (Angeaulme, Le Vacher und François Martin), die ins Land der Ancova (Imerina) oder ins Land der hova des Südens (Betsileo) vordrangen und Beschreibungen hinterliessen. Später erst wagten sich weitere Reisende ins Landesinnere vor: Mayeur machte zwischen 1774 und 1785 mehrere Reisen im Norden und gelangte als erster Europäer nach Imerina (1777). Dumaine hielt sich 1790 im Sakalavaland auf und Lasale bereiste 1786 die Nord- und Ostküste.

Während der französischen Revolution und der Zeit des Empires wurden die Beziehungen wieder intensiviert. Ein französischer Zwischenhändler, Sylvain Roux, setzte sich 1807 in Tamatave fest und kaufte Produkte für die französischen Inseln La Réunion und Mauritius. Doch die Maskarenen-Inseln wurden im Zuge der napoleonischen Kriege von den Engländern erobert, ebenso wie 1811 auch die französischen Handelsniederlassungen an der madagassischen Küste unter englische Kontrolle kamen. Allerdings nur für kurze Dauer, denn das Klima der Küste erwies sich auch für die englischen Soldaten als das Grab des weissen Mannes.

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Der Ethnologe Franz Stadelmann kam 1988 als Entwicklungshelfer nach Madagaskar. 1994 gründete er das madagassische Reisebüro PRIORI in Antananarivo. PRIORI organisiert Reisen mit mehr Hintergrund und tieferen Einblicken in die Licht und Schatten dieser Insel im Indischen Ozean. 'Sanftes Reisen' soll den BesucherInnen als auch den Besuchten gegenseitiges Verständnis erwecken. PRIORI engagiert sich auch sehr im sozialen und kulturellen Leben Madagaskars. PRIORI steht für Ihre Reisepläne gern zur Verfügung - auch in deutscher Sprache.

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Franz Stadelmann

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