Einflüsse
von Aussen: Europäer vor 1800
Ausgehend
von der Grafschaft um Porto dehnte sich Portugal im Zuge der
iberischen Reconquista allmählich nach Süden aus. Die Rückeroberung
der spanischen Halbinsel von den Mauren endete 1492 mit der
Einnahme von Grenada.
Noch
während die spanischen Königshäuser in die Kämpfe
mit den Mauren beschäftigt waren, hatte Heinrich der
Seefahrer (1394 - 1460) sein Augenmerk bereits auf die Umrundung
Afrikas gerichtet und eine Seefahrtsschule eingerichtet. Ziel
war einerseits die Weiterführung der Reconquista, aber ebenso
die Umgehung des Gewürzmonopols der Araber und Venezianer. Gewürze
wie Pfeffer und Muskat waren unübertroffene Luxusprodukte jener
Zeit: sehr selten und äusserst kostbar. Zudem waren die Gewürze
horrend teuer geworden, seit die Türken (Osmanisches Reich)
sich im Nahen Osten festgesetzt hatten. Nebst Gewürzen waren
auch Sklaven und Gold von Interesse. Auf der Suche nach diesen
begehrten Gütern hatten sich portugiesische Seefahrer seit
Mitte des 15. Jahrhunderts langsam der afrikanischen Küste
entlang nach Süden vorgetastet.
Gegen
Ende des 15. Jahrhunderts ging alles sehr schnell. Plötzlich
lagen lang ersehnte Horizonte in Griffnähe. Christoph
Kolumbus erreichte 1492 in spanischen Diensten Mittelamerika.
Doch schon 1488 hatte der Portugiese Bartolomeu Diaz die Südspitze
Afrikas umsegelt. Die Fahrt von Portugal nach Kapstadt und zurück
hatte über 16 Monate gedauert und der Mannschaft äusserste
Strapazen abverlangt. Durch diese Pionierfahrt war der Indische
Ozean für die europäischen Entdecker und Forscher, Händler
und Militärs offen. 1494 teilte der Papst Alexander VI die
Welt in eine portugiesische und eine spanische Hälfte.
1498
startete Diaz erneut mit 14 Schiffen. Vasco da Gama erreichte
Indien, durch die Winde des Südwestmonsuns getrieben und von
einem angeheuerten arabischen Lotsen geführt. Eines der
Segelschiffe wurde von seinem Bruder Diego kommandiert, der
Madagaskar - eher zufällig - 'entdeckte'.
Im
16. Jahrhundert stieg Portugal zur unbestrittenen Seemacht auf
der Gewürzroute nach Indien und Ostasien auf. Sofort begann das
junge Königreich entlang der afrikanischen Küste Festungen
einzurichten, die als Umschlagplätze, Handelsorte und
Nachschubbasen dienten. In Indien entstand ein portugiesisches
Vizekönigreich (Estado da India; 1505 - 1515).
1580
bis 1640 war Portugal Bestandteil des Vereinigten Königreichs
Spanien-Portugal. Dies trug nicht zur Stärkung der
portugiesischen Gewürzroute bei. Zudem wurde die spanische
Armada 1588 im Ärmelkanal von der englischen Flotte
vernichtend geschlagen. Denn schon setzten andere Mächte
zum Angriff auf das portugiesische Gewürzmonopol und auf die
spanischen Niederlassungen in Amerika an: Niederlande, England
und Frankreich.
1602
wurde die holländische Ostindische Kompanie gegründet, die
mit buchhalterischem Kalkül und verbissener Zielstrebigkeit
einen wesentlichen Anteil am blühenden Weltmarkt eroberte. Die
Portugiesen wurden 1609 von den Holländern aus Ceylon
vertrieben. Holland wurde im 17. Jahrhundert mit Antwerpen und
Rotterdam zur ersten Welthandelsmacht.
Die
Engländer setzten sich mit ihrer Ostindischen Kompagnie in
Madras (1639), Bombay (1661) und Kalkutta (1696) fest. England
entwickelte sich zusehends zur führenden Kolonial- und
Seemacht.
Spanien
war mit Mittel- und Südamerika beschäftigt. Ab 1561
verkehren die Silberflotten im Geleitzug, denn sie waren
vermehrt englischen, niederländischen und französischen
Angriffen ausgesetzt.
In
Frankreich trieb der Finanzminister Colbert (1619 - 1683) die Förderung
der Seefahrt voran. 1664 gründete Colbert die Ostindische
Kompagnie und liess Niederlassungen in Madagaskar, Bourbon (La Réunion)
und in Südostindien erstellen.
1713
beendete der Friede von Utrecht den Spanischen Erbfolgekrieg, in
dem England, Frankreich, Österreich und die Niederlande
beteiligt waren.
Diese
eher innereuropäischen Ereignisse wirkten sich bis an die
Gestade Madagaskars aus. So ankerten im 16. Jahrhundert vor
allem portugiesische Schiffe in den Buchten Madagaskars, die
erste Handelskontakte herstellten und Missionare und
Forschungsreisende an Land setzten. Doch schon 1527 segelte ein
französisches Schiff aus Dieppe in den Küstengewässern
vor Madagaskar.
Im
17. Jahrhundert besuchten vorwiegend holländische Flotten
die Insel, die ab Mitte des 17. Jahrhunderts von französischen
und sporadisch auch von britischen Schiffen angelaufen wurde.
Ziel der Flottenbesuche war die Beschaffung von Nahrungsmitteln
und Wasser, in geringerem Mass auch der Kauf von Sklaven.
Siedlungsversuche wurden nur selten unternommen.
Der
Navigator Diego Diaz, von einem Unwetter verirrt, stiess am 10.
August 1500 auf die Nordküste eines bislang den Europäern
unbekannten Landes und nannte es Sao Lourenço. In Portugal war
man überzeugt, eine von Marco Polo erwähnte Insel gefunden
zu haben und zeichnete sie schon 1502 auf den Seekarten ein.
Erst später, im 17. Jahrhundert, setzte sich der auf Marco
Polo zurückgehende Name Madagaskar durch, der damit 1298 jedoch
eher Mogadischu gemeint haben mochte. Zu verschiedenen Zeiten
wurden ganz unterschiedliche Namen für Madagaskar gebraucht:
die arabischen Geographen des 10. Jahrhunderts nannten die Insel
Djafona, El Qomr und Serendah. Die europäischen Seefahrer
tauften sie Sao Lourenço (1500), Alioa (1506), Saint-Georges
(1540), Pacras (1575), Ile Dauphine (1665).
Die
älteste bekannte Karte Madagaskars wurde vom arabischen
Geografen Edrici 1153 gezeichnet. 1459 fertigte der Italiener
Fra Mauro eine Karte an und 1492 erstellte der Deutsche Martin
Behaim einen Globus entsprechend den damaligen Kenntnissen und
den Erzählungen von Marco Polo und zeichnete die mythische
Insel Madagaskar darauf ein. Der portugiesische Geograf Pedro
Reinel gab 1517 mit seiner Karte bereits die ungefähren
Umrisse Madagaskars. Auf
den Karten von Alphonse le Saintongeois (1545) und Guillaume le
Testu (1555) lassen sich schon mehr Details erkennen, obwohl
auch sie noch am Rande der Phantasie anzusiedeln sind. Doch
schon die Karten von Gastaldo (1567) und Mercator (1569) lassen
keinen Zweifel mehr über die Form der Insel. Flacourt
hinterliess in seiner Beschreibung Madagaskars im 17.
Jahrhundert ebenfalls eine Karte. Das Landesinnere wurde
allerdings noch während langer Zeit nicht kartographiert.
Die
Missionsbestrebungen blieben erfolglos. Die katholischen
Portugiesen schafften es im 16. Jahrhundert nicht, die Antanosy
(Zafi-Raminia des Süd-Ostens) zu bekehren und hatten auch kaum
Erfolg in der Vertreibung der arabischen Händler, obwohl
sie die arabischen Handelsstädte im Nordwesten wiederholt
zerstörten.
Die
Portugiesen brachten neue Anbauprodukte nach Madagaskar, so
Mais, Maniok und vielleicht auch die Süsskartoffel.
Dominikanische
Missionare wirkten im 16. Jahrhundert in der Gegend des
portugiesischen Forts im Land der Antanosy bei Fort-Dauphin.
1540 wurden sie während eines Festes zusammen mit den 70
portugiesischen Colons umgebracht. Der portugiesische Pater Jean
St. Thomé versuchte im Nordosten der Insel zu missionieren,
wurde jedoch 1585 vergiftet.
Erst
1613 machten zwei Jesuiten unter dem aus Brescia (Italien)
stammenden Paters Luis Mariano in Ranofotsy (bei Ste. Luce nördlich
von Fort-Dauphin) einen neuen Missionierungsversuch. Voller
Tatendrang bauten sie eine Kirche und errichteten zwei grosse
Kreuze. Doch infolge des arroganten Auftretens der
portugiesischen Seeleute mussten sie den Rückzug antreten,
nahmen aber den etwa 14-jährigen, einzigen Sohn des Lokalkönigs
nach Goa mit - bis 1616 waren die portugiesischen Missionare Goa
unterstellt, später Mozambique. Der junge Madagasse wurde
Don Andréa genannt, und unter der Obhut von Pater Mariano
lernte er die portugiesische Sprache und wurde im christlichen
Glauben unterrichtet. 1616 brachten ihn die Portugiesen wieder
zurück, doch die Seeleute verärgerten einmal mehr den noch
lebenden Vater und mussten sich in aller Eile zurückziehen. Der
wackere italienische Priester Mariano blieb allein zurück und
lebte während elf Monaten im Land, musste sich allerdings
aus der Region von Ste. Luce wegbegeben. Der wagemutige Jesuit
schlug sich zur Westküste durch und gelangte 1619 mit einem
Handelsschiff nach Mozambique. Luis Mariano hinterliess
Aufzeichnungen seiner Abenteuer und Beobachtungen, die heute
wichtige Informationsquellen über jene Zeit darstellen.
Für
die Portugiesen war Madagaskar im 17. Jahrhundert (ab 1620) nur
noch als Lieferant von Rindern und Reis für die Niederlassungen
in Mozambique interessant. Siedlungsversuche wurden keine mehr
unternommen.
Schriftliche
Zeugnisse aus jener Zeit sind selten und beschränken sich
oft nur auf die kurzen Landkontakte, welche die
Schiffsbesatzungen und die sie begleitenden Reisenden hatten. So
ist aus dem 17. Jahrhundert ein Text eines Matrosen erhalten,
der die Fahrt von Mozambique zur nordwestlichen Küste
Madagaskars beschreibt.
Der
Franzose David Williams wurde um 1690 an Land gespült und von
einem Antaimoro-König zum General gemacht, bis er sich auf
das Piratenschiff Bedford retten konnte und selber Pirat wurde.
Er wurde schliesslich in der Bucht von Boina getötet.
Freiwilliger
Art war der Aufenthalt des Franzosen François Cauche. Er
verliess 1638 in Ste. Luce ein französisches Schiff und
durchwanderte während 6 Jahren den Süden Madagaskars. In
der Folge hinterliess er eine Beschreibung des Landes und ihrer
Bewohner, so schilderte er unter anderem auch eine
Beschneidungsfeier bei den Antanosy.
Etliche
Europäer, deren Namen nie bekannt oder längst
vergessen sind, hatten ebenfalls unfreiwillige längere
Aufenthalte in Madagaskar. Nicht alle schafften die Rückkehr in
die Heimat. Denn immer wieder strandeten Schiffe an den Gestaden
Madagaskars. So etwa der englische Matrose Robert Drury, der
1702 schiffbrüchig in der Region des Südkaps an die Küste von
Antandroy gespült wurde. Während seine rund 160 Kumpane
sofort umgebracht wurden, wurde der 15-jährige Drury zum
Sklaven und Viehhüter gemacht. Erst nach 16 Jahren schaffte er
es bis nach Saint-Augustin und dort auf ein europäisches
Schiff zu gelangen. Er hatte die Kenntnis der englischen Sprache
vollkommen vergessen. Von seinen Abenteuern hinterliess er 1729
farbenreiche Aufzeichnungen, die danach in mehreren Auflagen
immer wieder publiziert wurden. Wie auch 1793 und 1794 ein
anonymer Überlebender des 1792 gestrandeten Schiffes
Winterton in der damals weitverbreiteten britischen Zeitschrift
Gentleman's Magazine seine Erlebnisse im Süden Madagaskars
schilderte. Georges Buchan, ein weiterer Überlebender der
Winterton, publizierte seine Beobachtungen erst 1820 mit dem
Ziel, seine Dienste der jungen London Missionary Society zur
Verfügung zu stellen.
In
Madagaskar hinterliessen diese Gestrandeten - ausser
gelegentlichen Nachkommen - keine Spuren. Doch schiffbrüchige
Portugiesen errichteten 1527 in der Nähe von Fort-Dauphin
ein burgartiges Gebäude. Von den 65 Matrosen überlebten
nur 5 Mann, die Jahre später auf einem portugiesischen
Schiff die Insel verliessen. Die heute noch erhaltene Ruine
dieses portugiesischen Forts, das tranovato (Steinhaus), gilt
als das älteste Haus Madagaskars. (Ein weiteres
portugiesisches Fort existierte womöglich in der Bucht von
Saint-Augustin bei Soalara, jedenfalls ist im Atlas von Mercator
(1569) ein Cuara genannter Ort eingezeichnet.) Ein versprengter
Teil einer Gruppe von 600 schiffbrüchigen Portugiesen soll im
16. Jahrhundert bis ins Isalo-Gebirge gelangt sein und dort in
einer Höhle gewohnt haben, die heute noch 'portugiesische
Grotte' genannt wird.
Auch
für die Holländer war Madagaskar nur ein Nebenschauplatz,
ihr Hauptinteresse war auf Ostindien gerichtet. Auf der ersten
Seeexpedition der Holländer in den Indischen Ozean - 1595 -
1597 - ging zwar Cornelis van Houtman in Madagaskar an Land, so
in Saint-Augustin und in Antongil. Der unzimperliche Houtman
allerdings hinterliess oft Schutt und Asche und seine in
Antongil errichtete Handelsstation hatte keinen Erfolg.
Er nannte übrigens Madagaskar 'coemiterium batavorum'
(Friedhof der Holländer). Trotzdem wurden zwei weitere
Expeditionen gestartet, eine davon wurde erneut von Houtman
geleitet und ankerte 1599 in Saint-Augustin, ohne allerdings
Handel treiben zu können, weil die Bewohner flohen. In späteren
Jahren trafen einige seiner Landsleute noch immer auf feindliche
Bewohner und ihre Niederlassungen hatten keinen Erfolg. Doch die
holländischen Kontakte blieben auf die Ostküste und dort
vornehmlich auf die Bucht von Antongil beschränkt. Dies
einerseits aufgrund eines holländischen Abkommens von 1641
mit Portugal, andererseits suchten die Holländer den Kanal
von Mozambique zu meiden, weil sie im 17. Jahrhundert mehrere
Male in Krieg mit Portugal waren. Selten nur legten Schiffe des
niederländischen Monopolunternehmens - Verenigde
Oostindische Compagnie (VOC) - in den 1630er Jahren in der Bucht
von Saint-Augustin an. Nach 1617 hielten sich die VOC-Schiffe
auf ihren Ostasienfahrten eher im südlichen Teil des Indischen
Ozeans auf und nutzten die starken Winde der 'roaring forties' für
eine schnelle Fahrt nach Batavia. Nur die zurückkehrenden
Schiffe segelten näher an Ostmadagaskar heran. 1645 wurde
in der Bucht von Antongil eine kleine Station errichtet, doch
schon nach wenigen Monaten aufgegeben. Bis 1660 war den Holländern
eigentlich nur die Bucht von Saint-Antongil bekannt.
Die
junge Seemacht Holland schickte ihre Schiffe zwar bis Mitte des
18. Jahrhunderts an die Ostküste, um ab 1638 Nachschub (Reis
und Sklaven) für ihre Niederlassung in Mauritius zu holen. Doch
als die Holländer 1712 Mauritius aufgegeben hatten,
entglitt Madagaskar ihrem Interesse, sie konzentrierten sich
eher auf ihre Siedlung am Cap, die 1652 gegründet worden war.
In einer kurzen Phase allerdings besorgte sich auch die Siedlung
am Kap Nachschub in Madagaskar.
Ein
britisches Schiff ankerte schon 1529 in der Bucht von Manambolo
(bei Maintirano). Die Mannschaft stiess erst auf einen
freundlichen Empfang, der aber am folgenden Tag in eine Attacke
umschlug. Als die 'Golden Hind' von Sir Fancis Drake ihre
Weltumseglung machte, kam sie 1580 von Osten her über den
Indischen Ozean und ankerte zwar nicht vor Madagaskar, doch das
britische Interessen an dieser Weltgegend war erwacht. Die 1601
neugegründete East India Company in London sandte sogleich eine
neue Expedition mit vier schwerbewaffneten Schiffen aus, die
1601 in Ste. Marie und in Antongil ankerten. Der Kontakt blieb
allerdings auf Handel und Gütertausch beschränkt. Die
Briten versuchten vergebens, im Westen Fuss zu fassen. So
scheiterte auch John Smart, der sich 1645 in Soalara (Bucht von
Saint-Augustin) mit 140 Männern, Frauen und Kindern
niederliess. Doch Nachschubprobleme, Krankheiten und ein ständiger
Kleinkrieg liessen 1646 die überlebenden 60 Personen enttäuscht
absegeln.
Die
Franzosen hingegen machten über Jahrhunderte hinweg mehrere
Versuche, sich in Madagaskar auf Dauer niederzulassen. Die
Compagnie française des Indes Orientales wurde 1642 von Kapitän
Rigault gegründet und mit wertvollen Privilegien von Kardinal
Richelieu ausgestattet.
1642
setzte sich der Franzose Pronis, gesandt von der Ostindischen
Compagnie, im Südosten bei Ste. Luce fest, wobei er sich auf
die Ortskenntnisse von Cauche stützen konnte. Ein Jahr später
(1643) hatte er einen idealeren Siedlungsplatz gefunden und gründete
Fort-Dauphin, benannt nach dem späteren König Louis
XIV. Noch im gleichen Jahr verbannte er ein paar Meuterer nach
Bourbon (La Réunion). Sie wurden die ersten - wenn auch
unfreiwilligen - Siedler der bis anhin unbewohnten Insel östlich
von Madagaskar.
Der
Hugenotte Pronis hatte mit der Unzufriedenheit der Mannschaft
und der Feindseligkeit der umliegenden Bevölkerung, mit
mangelndem Nachschub und lähmenden Krankheiten zu kämpfen.
Den Anforderungen der Compagnie scheint er jedenfalls nicht
gerecht geworden zu sein und wurde abgelöst. Seinem
Nachfolger, Etienne de Flacourt, gelang die Organisation der
kleinen Niederlassung offenbar wesentlich besser, obwohl er und
seine Mannschaft ab 1648 für 7 Jahre vergessen in Fort-Dauphin
lebten. (In Frankreich, das sich im Dreissigjährigen Krieg
engagiert hatte und sich nahtlos in einen Krieg gegen Spanien
einliess, war 1648 zudem ein Bürgerkrieg ausgebrochen, wodurch
eine unbedeutende Siedlung wie Fort-Dauphin völlig in den
Hintergrund trat.)
Flacourt
veröffentlichte nach seiner Rückkehr 1658 sein Werk
'Geschichte der Grossen Insel von Madagaskar', das erste
schriftliche Dokument, das gemäss den damaligen Kenntnissen
ausgiebig über die Insel, seine Bewohner und Ressourcen
Auskunft gab und eine Liste von 3500 madagassischen Wörtern
umfasste. Dieses Werk blieb während über 200 Jahren die
einzige umfassende Quelle an Informationen über Madagaskar.
In
die Zeit von Flacourt fällt auch das erste gedruckte Buch
in lateinischen Buchstaben und in madagassischer Sprache (ausser
den von Hand und in arabischen Schriftzeichen geschriebenen
Sorabe!): der Katechismus von 1657, geschrieben 1650. Die
Autoren, die lazaristischen Missionare Charles Nacquart und
Nicolas Gondrée kamen im Dezember 1648 zusammen mit Flacourt
nach Fort-Dauphin, wo sie auch Don Andréa vorfanden, der ins
'Heidentum' zurückgefallen war. Die Missionstätigkeit der
beiden Lazaristen hatte wenig Erfolg.
Gondrée
starb 29-jährig schon nach sechs Monaten, der 33-jährige
Nacquart starb 1650 an Fieber nach nur 18 Monaten Aufenthalt.
Wenn sie auch nur wenige Seelen bekehrt hatten, so hinterliessen
sie doch ein christliches Lehrbuch in madagassischer und französischer
Sprache. Dabei nahmen sie sich interessanterweise nicht den
damals überaus bekannten und geschätzten Katechismus des
spanischen Missionars Franz-Xaver (1506 - 1552), der für die
Portugiesen in Indien gewirkt hatte, zum Vorbild.
Sie
gebrauchten oft islamische Wörter, die ihre madagassischen
Helfer wohl aus den Sorabe kannten. Jesus übersetzten sie mit
dem islamischen Wort Rahÿssa (Ra-Isa). (In späterer
Zeit wurde für Gott das Wort Javeh gebraucht.) Schwierig - oder
unmöglich - war die Beschreibung des Konzepts der Heiligen
Dreifaltigkeit. Gott umschrieben sie mit dem madagassischen Wort
Zanahary, das eng mit dem Toten- und Ahnenkult verwoben ist. Für
Geist benutzten sie das madagassische Wort ambiroa, was die
Geister der Toten bezeichnet, die in den Grabstätten
hausen. Diese Wortprobleme lassen sich durch die Schwierigkeit
erklären, madagassische Wörter für christliche
Sinngehalte zu finden. Auch für die Bezeichnung Kirche irrten
sie sich: sie nutzten das madagassische Wort fivourinih vazaha,
was Versammlung der Fremden / Weissen / Europäer bedeutet.
Christ wurde durch vazaha (Fremder / Weisser / Europäer) übersetzt.
Doch
die Beziehungen der kleinen Siedlung in Fort-Dauphin mit den
Antanosy der Umgebung verschlechterten sich, Bekehrungen wurden
nicht gemacht, die Sterbequote der Missionare, Siedler und
Soldaten war sehr hoch. Als Flacourt seinen Posten in
Fort-Dauphin 1655 verbittert verliess, errichtete er eine Stele
mit der Inschrift: cave ab incolis (Pass vor den Einheimischen
auf). (Aus dem 16. und 17. Jahrhundert sind etliche Schriften
von europäischen Reisenden und Seefahrern erhalten, die
Urteile über die Madagassen abgeben: sie reichen von sanft und
freundlich bis zu brutal und barbarisch.)
Einzig
der Major La Case, durch Heirat madagassischer Prinz geworden,
konnte sich unter den Völkern des Südens ein bestimmtes
Mass an Ansehen erwerben. An ihrer Spitze unternahm er Feldzüge
im ganzen Süden der Insel, bis er 1671 starb. Die Siedlung in
Fort-Dauphin siechte dahin: Massaker, Verrat, Hunger und
Krankheit dezimierten die restliche Mannschaft.
1664
gründete Colbert die neue Compagnie des Indes Orientales und
schickte vier Schiffe mit 400 Mann nach Madagaskar. Weitere
Schiffe folgten, sodass Fort-Dauphin um die 2000 Personen zählte.
Zu deren Ernährung wurden Reiskäufe entlang der ganzen
Ostküste getätigt, organisiert von François Martin, dem
späteren Begründer von Pondicherry in Indien. Diese
Expeditionen führten Martin bis in die Region von Fénérive
und sogar ins Landesinnere zum Lac Alaotra. Doch die Compagnie
war ihm für diesen Einsatz nicht sonderlich dankbar.
Die
Siedlung Fort-Dauphin stand nach wie vor unter einem ungünstigen
Stern. 1674 wurde die halbe Garnison von Fort-Dauphin
massakriert, der Rest der überlebenden Soldaten und Colons und
die zwei letzten Lazaristen verzogen sich daraufhin nach Bourbon
(La Réunion), wo inzwischen ebenfalls eine französische
Siedlung entstanden war.
Damit
waren die Siedlungsversuche der Franzosen und die
Missionsbestrebungen der Katholiken endgültig gescheitert, sie
wurden erst 150 Jahre später im 19. Jahrhundert wieder
ernsthaft aufgenommen.
Von
1674 bis 1800 gab es nur noch drei französische
Missionsversuche: jene von Noël-Alexandre de Noinville du Gléfier
(1735/36) in Antongil, wo die Franzosen noch einen kleinen
Handelsposten unterhielten. 1736 starb du Gléfier. Sein
Landsmann Gabriel du Rocher versuchte es erneut in Fort-Dauphin.
Er war mit einem französischen Handelsschiff aus Mauritius
entlang der Ostküste unterwegs, blieb dann 6 Monate in
Fort-Dauphin, kehrte danach nach Mauritius zurück. Er
veranlasste 1785 eine revidierte Neuauflage des Katechismus von
1657 und schickte drei Madagassen in ein Priesterseminar nach
Rom. Auf Bestreben von Gabriel du Rocher ging 1791 der Lazarist
François-Marie Halnat mit einem der drei in Rom ausgebildeten
Madagassen an die Ostküste, wurde aber schon nach neun Monaten
Aufenthalt wieder nach Mauritius zurückbefohlen.
Madagaskar
wurde ein Freigebiet und Tummelplatz für die europäischen
Piraten. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts setzten sich französische
und britische Piraten an der Ostküste und in Ste. Marie fest.
Ihre Mischlingsnachkommen traten als Lokalchefs auf und mischten
aktiv in der lokalen Politik und in Kriegen mit.
Die
Handelsbeziehungen mit Madagaskar jedoch blieben bestehen. Die
Franzosen, die sich 1662 in Bourbon (Réunion) und 1721 die von
den Holländern 1712 verlassene Ile de France (Mauritius)
festgesetzt hatten, kamen immer wieder nach Madagaskar, um Reis,
Rinder und Sklaven zu holen. Ab 1750 gehörte Ste. Marie
ihnen.
Zweimal
versuchten sie noch Fuss zu fassen: 1768 - 1771 in Fort-Dauphin
mit dem Compte Modave und 1774 - 1776 in der Bucht von Antongil
mit Benyowski. Beide scheiterten.
Man
schätzt, dass zwischen 1506 und 1776 etwa hundert
geschichtlich bekannte Schiffe nach Madagaskar kamen. um Handel
zu treiben. Doch insbesonders auf der verkehrsgünstig gelegenen
Insel Nosy Ve in der Bucht von Saint-Augustin bei Tulear legten
die Handelsschiffe gern einen kurzen Zwischenhalt ein. Diese
Insel wurde wohl mehr angelaufen als die ebenfalls beliebte
Bucht von Antongil. (Für einen lazaristischen Missionar in
Fort-Dauphin war dies ein Argument für die Eröffnung eines
Postens in Saint-Augustin, um dadurch seinem Mutterhaus zwei-
oder dreimal pro Jahr Briefe schicken zu können. Tatsächlich
bestanden in den 1660er Jahren mehrere Pläne einer französischen
Besiedlung von Saint-Augustin von Fort-Dauphin aus. Diese
Projekte wurde nie verwirklicht, denn die kleine Siedlung in
Fort-Dauphin hatte genug eigene Probleme.)
Während
im 16. und 17. Jahrhundert die - oft noch phantasievollen -
Karten kopiert wurden, erschien erst 1776 mit der Karte des
Seemannes Après de Mannevilette wieder eine neue Karte mit
ziemlich genauen Umrissen der Insel Madagaskar. Aber auch er
wiederholte die Fehler seiner Vorgänger betreffend des
Landesinneren. So hatte 1567 Gastaldo die Insel von Nord nach Süd
von einer Bergkette durchlaufen lassen. Diese Bergkette
figurierte auf allen Karten bis 1871, als Grandidier aufgrund
eigener Beobachtung und Reisen eine wirklichkeitsgetreuere
Landkarte herstellte.
Im
17. Jahrhundert gab es nur drei kurze, bekannte Expeditionen bis
ins Hochland (Angeaulme, Le Vacher und François Martin), die
ins Land der Ancova (Imerina) oder ins Land der hova des Südens
(Betsileo) vordrangen und Beschreibungen hinterliessen. Später
erst wagten sich weitere Reisende ins Landesinnere vor: Mayeur
machte zwischen 1774 und 1785 mehrere Reisen im Norden und
gelangte als erster Europäer nach Imerina (1777). Dumaine
hielt sich 1790 im Sakalavaland auf und Lasale bereiste 1786 die
Nord- und Ostküste.
Während
der französischen Revolution und der Zeit des Empires
wurden die Beziehungen wieder intensiviert. Ein französischer
Zwischenhändler, Sylvain Roux, setzte sich 1807 in Tamatave
fest und kaufte Produkte für die französischen Inseln La Réunion
und Mauritius. Doch die Maskarenen-Inseln wurden im Zuge der
napoleonischen Kriege von den Engländern erobert, ebenso
wie 1811 auch die französischen Handelsniederlassungen an
der madagassischen Küste unter englische Kontrolle kamen.
Allerdings nur für kurze Dauer, denn das Klima der Küste
erwies sich auch für die englischen Soldaten als das Grab des
weissen Mannes.
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