Missionare
im 19. Jahrhundert
Die
Missionsbestrebungen der portugiesischen und französischen
Katholiken hatten im 16. Jahrhundert keine bleibenden Früchte
getragen, sodass die Insel im 18. Jahrhundert weitab vom
Interesse der christlichen Kirchen lag. Erst zu Beginn des 19.
Jahrhunderts - mit der dosierten Öffnung des jungen Königreiches
Imerina - wurden die Bemühungen wieder aufgenommen. Die
englischen Protestanten hatten mit der britischen Besitznahme
von Mauritius eine Plattform erhalten und ein Sprungbrett für
die christliche Eroberung Madagaskars.
Zur
Fackelträgerin des christlichen Glaubens entwickelte sich
die 1795 gegründete London Missionary Society (L.M.S.). Am 18.
August 1818 gingen die aus Wales stammenden L.M.S.-Missionare
Thomas Bevan und David Jones mit ihren Familien in Tamatave an
Land, geschickt von Farquhar und empfangen von Jean-René. In
dieser aufstrebenden Hafenstadt und Drehscheibe des
Sklavenhandels eröffneten sie kurz darauf eine Schule. Doch
schon nach wenigen Wochen starben alle sechs Personen ausser
David Jones, der sich daraufhin voll Trauer und Enttäuschung
nach Mauritius zurückzog.
Im
Oktober 1820 kehrte der wackere Missionar Jones wieder nach
Madagaskar zurück und begab sich in Begleitung des britischen
Abgesandten James Hastie nach Antananarivo. Schon ab dem 8.
Dezember 1820 unterrichtete er am Königshof drei junge
Prinze. Der Franzose Robin hatte bereits ein Jahr vorher eine
Schule für die Königsfamilie und für Offiziere
eingerichtet und hatte König Radama I in der Kunst des
Schreibens mit lateinischen Buchstaben eingeweiht. (Radama hatte
bislang die arabischen Zeichen der Antaimoro benutzt.)
1821
sandte die L.M.S. David Griffiths in die Hauptstadt des Königreiches
Imerina und die beiden Missionare steckten ihre Tätigkeitsfelder
ab: Jones unterrichtete am Royal Missionary College die Kinder
der Königsfamilie und Adelige. Griffiths widmete sich in
seiner Schule den Kindern des Volkes. Beide Schulen akzeptierten
sowohl Jungs als auch Mädchen.
Schon
nach sechs Monaten Schulzeit führten die unermüdlichen Lehrer
die ersten Examen durch. Getestet wurden Lesen, Schreiben,
Rechnen und - zusätzlich für die Mädchen - Nähen.
König Radama I war mit den Ergebnissen zufrieden.
Zwei
Jahre später (1824) fusionierten die Schulen zur Central
School in Ambodinandohalo, die zu einer Art Lehrerseminar wurde.
Etliche der dort ausgebildeten Schüler amtierten nach Abschluss
der Studien als Lehrer in den neu errichteten Schulen, die allmählich
in der unmittelbaren Umgebung von Antananarivo entstanden. Ein
paar dieser madagassischen Lehrkräfte wurden später im
Staatsdienst eingesetzt, zwei davon (Ralehimahaoly und
Rasatranabo) begaben sich 1863 im Auftrag von Königin
Rasoherina als Botschafter nach Europa.
Der
Schulunterricht war nicht das einzige Betätigungsfeld der
Missionare. Sie beschäftigten sich ebenso mit Sprachstudien
(um die Bibel zu übersetzen und das Christentum in der
einheimischen Sprache zu verbreiten), mit Religionsunterricht
(ihrem eigentlichen Ziel) und mit Handwerksausbildung (Priorität
des Königs).
1822
trafen die ersten Missionshandwerker der L.M.S. in Imerina ein.
Ein Weberatelier mit Baumwollverarbeitung wurde von Rowlands in
Fenoarivo eingerichtet, 1826 stiess Cummings dazu. Diese
Textilverarbeitung hatte keinen Erfolg angesichts der billigeren
Importe und wurde bald aufgegeben. Im Amparibe errichtete George
Chick eine Eisenschmiede, wobei
er sich auf die traditionelle Schmiedekunst der Madagassen stützte.
Diese Missionsschmiede kannte einen nachhaltigen Erfolg. John
Canham widmete sich der Lederverarbeitung und fertigte Schuhe
und Stiefel an, unterstützt ab 1827 von Kitching. (Bis anhin
wurde die Haut eines geschlachteten Rindes ebenfalls verzehrt;
das Tragen von Leder war tabu. In den folgenden Jahrzehnten
gewann der Export an Leder - vor allem nach Amerika - eine
grosse Bedeutung als 'Devisenbringer' für das Merina-Reich.)
Der junge Zimmermann James Cameron gründete 1826 eine
Schreinerei, erst in Ambatonakanga, dann in Analakely, wo er im
Laufe seiner neunjährigen Tätigkeit hunderte von
Lehrlingen ausbildete. Cameron war ein Universaltalent: er
fabrizierte Seife und Kerzen, zeichnete Karten, stellte
Keramikwaren her, führte den Gebrauch von Ziegelsteinen ein,
bildete Steinmetze aus und tat sich vor allem auch im Bauen von
Kirchen und Häusern hervor. Der allseits geschätzte
Cameron wurde von den Madagassen Ingahy Kama (Monsieur Cameron)
genannt.
Der
äusserst beliebte David Jones wurde von den Madagassen
jonja lava (langer Jones) genannt, im Unterschied zu seinem 1826
ins Land gekommenen Namensvetter David Johns, der mit dem
Spitznamen jona fohy (kurzer Johns) gerufen wurde.
1826
kam Hovenden mit einer Druckerpresse nach Antananarivo, starb
aber, bevor er sie in Betrieb setzen konnte. Cameron und Jones
gelang es, die Apparate zu installieren und die erste Bibelseite
(Genesis 1, 1-23) zu drucken. Die allererste auf dieser Maschine
gedruckte Seite befindet sich heute in der Cap Town Library in Südafrika.
Insgesamt wurden 1500 Exemplare gedruckt und in den Schulen als
Lesestoff benutzt.
Radama
hatte vom britischen Gouverneur in Mauritius Ausbildungshilfe in
den 'europäischen Techniken' gewünscht. Die Missionare
unterrichteten jedoch parallel zum Lesen, Schreiben, Englisch
und Handwerk auch Glaubenslehre.
Und
dazu gehörte natürlich ein Gotteshaus. Die erste Kirche
wurde 1824 in Ambodinandohalo eingeweiht, das zweistöckige
Holzhaus - das Wohnhaus von Griffiths - wurde auch als Schule
benutzt. 1831 wurde die zweite Kirche, einem Wohnhaus ähnlich
und ohne Kirchenturm, in Ambatonakanga eingeweiht. (Die Kirche
von Ambatonakanga wurde 1835 unter der antichristlichen Königin
Ranavalona I in einen Pferdestall verwandelt, dann in ein Gefängnis
für die inhaftierten Christen, so unter anderem für Rasalama,
der ersten Märtyrerin.)
Gedruckte
Schriften, Pamphlete und Psalmen trugen wesentlich zur
Verbreitung der christlichen Lehre bei. Edward Baker, der 1828
den verstorbenen Hovenden ersetzte, druckte 1830 das neue
Testament in dreitausend Exemplaren und 1835 die erste Bibel auf
madagassisch. (Als die Druckerpresse 1826 endlich in
Antananarivo eintraf, war das Neue Testament bereits übersetzt,
ebenso wie ein grosser Teil des alten Testaments.)
Radama
trat selber nicht zum christlichen Glauben über, war aber den
missionarischen Aktivitäten der Briten tolerant gesinnt,
obwohl er nicht akzeptieren konnte, dass es eine höhere
Macht als er selber geben könne. Zudem führte er privat
einen exzessiven Lebensstil, der in diametralem Gegensatz zur
christlichen Lehre stand. Der britische Militärberater
James Hastie trug zu einem positiven Verhältnis zwischen
dem lebensfreudigen Radama und den sittenstrengen Missionaren
bei. Als Hastie 1826 im Alter von 40 Jahren starb, waren die
Missionare keineswegs sicher, ob ihre Tätigkeit ohne diesen
ausgleichenden Landsmann weiterhin ungestört bleiben würde.
(Hastie war nur wenig älter als Radama und beide verband
eine tiefe Freundschaft, die auch auf ihrer Verehrung für Militär
und Krieg beruhte.) Andererseits hatte Radama der L.M.S.
praktisch das Monopol für die Missionierung seines Reiches übergeben,
da er wünschte, dass die Europäer die gleichen Lehren
verbreiteten. Daher lehnte er auch ein Missionsgesuch der
Katholiken ab.
Der
junge König Radama I starb 1828 unerwartet. Zu der Zeit
existierten 44 Schulen mit total 2300 Schülern, 5000 Schüler
hatten bereits lesen und schreiben gelernt. Die
L.M.S.-Missionsstation in Antananarivo bestand aus 4 Priestern
und 3 Handwerkern.
Die
freundliche Tolerierung der verschiedenen Tätigkeiten der
Missionare änderte sich nach Tod des Königs Radama
zwar nicht schlagartig, aber schwankte unter seiner Nachfolgerin,
Ranavalona I, erheblich und degradierte im Laufe der 33 Jahre
dauernden Herrschaft der Königin zusehends.
Einflussfaktoren
waren nicht allein ihre negative Haltung dem Christentum gegenüber,
sondern ebenso die generelle aussenpolitische Lage. Der Konflikt
mit Frankreich von Oktober 1829 machte die Königin auf die
Abhängigkeit und die Gefahren von aussen aufmerksam. Sie
bat die Missionare umgehend, 'brauchbare Sachen' herzustellen,
beispielsweise Seife. Cameron und Chick setzten sich sofort ans
Werk: Ende 1831 beschäftigten sie über 600 Arbeiter und
hatten 20 Tonnen Seife produziert, der Import war überflüssig
geworden. Auf Wunsch der Königin produzierten sie auch
Salpeter, Schwefel und Schiesspulver in einer kleinen Fabrik am
künstlich erstellten Lac Anosy.
Die
französischen Attacken machten die Königin gegenüber
den Engländern milder - auch weil sie inzwischen nützliche
Produkte herstellten.
Im
Mai 1831 proklamierte die Königin die Religionsfreiheit,
sie erlaubte die christliche Heirat, Kommunion und Taufe und
schickte gar ihren kaum zweijährigen Sohn Rakoto in den
Missionskindergarten. Noch im gleichen Jahr allerdings zog sie
diese Bewilligungen wieder zurück und legte den Christen in den
folgenden Jahren zunehmend Schwierigkeiten in den Weg.
1832
folgte ein erneuter Rückschlag: alle männlichen Schüler
über 13 Jahre wurden in den Militärdienst eingezogen. Es
wurde den Missionaren verboten, Sklaven zu unterrichten.
1835
war die Gefahr einer französischen Invasion endlich vorbei:
die Königin befahl, die Schulen wieder zu füllen:
innerhalb von Wochen waren 100 Schulen mit 4000 Schülern in
Betrieb - mehr als je zuvor.
Vielleicht
sah die Analphabetin in den Schulen ein bequemes Reservoir für
die schnelle Rekrutierung von Soldaten.
Im
Februar 1835 informierte Ranavalona I alle Ausländer, dass
sie ihnen weiterhin die freie Ausübung ihres Glaubens und ihres
Lebensstils erlaube, doch den madagassischen Untertanen verbot
sie, dem christlichen Glauben nachzueifern, sich taufen zu
lassen und an sonntäglichen kirchlichen Versammlungen
teilzunehmen. Sie gestattete den Missionaren zwar weiterhin,
'Technik' und 'Weisheit' zu vermitteln, nicht aber
Glaubensinhalte, welche die Sitten und Überlieferungen der
Ahnen in Frage stellten oder gar änderten.
Die
Lage verschlimmerte sich im März 1835, als die Königin
in ihrem Edit von Imahamasina verkündete, dass sie folgende
Dinge nicht mehr auf ihrem Boden sehen wolle: Gesellschaft,
Komitees, Missionare, Schulen, Compagnie, Jehovah und Jesus. Die
Königin erklärte, dass Jehovah ein Ahne der Engländer
sei und Jesus ein Vorfahre der Franzosen. Sie drohte all jenen
mit der Todesstrafe, die den fremden Ahnen nacheiferten. Die
madagassischen Christen hatten einen Monat Zeit, um königliche
Verzeihung zu bitten, andernfalls drohte ihnen die Todesstrafe.
Die
Missionare beschlossen, unter den gegebenen Umständen nicht
mehr weiterzumachen. In einem wahren Rennen gegen die Zeit
wurden alle Energien in den Buchdruck gesteckt. Im Juni 1835
verliessen die ersten Bibeln, gedruckt und gebunden, die
L.M.S.-Druckerei.
Die
Königin war zwar weiterhin an den technischen Qualitäten
einzelner Missionshandwerker interessiert. So bot sie dem
Schmied Chick einen Einzelvertrag an, ebenso James Cameron. Doch
Chick stand aus Gesundheitsproblemen kurz vor der Abreise nach Südafrika.
Und Cameron wollte neben der Handwerkskunst eben auch die Bibel
verbreiten und schloss sich im Juni 1835 den abreisenden
Missionarskollegen an. Auch Griffiths ging zwei Monate später. Die Missionare
waren nicht direkt ausgewiesen worden, sie hätten auch
weiterhin - als Lehrer - Rechnen und Schreiben unterrichten dürfen,
doch sie empfanden die religiösen Restriktionen als eine
unerträgliche Bedingung. Zudem hatten diese äusseren
Spannungen seit langer Zeit auch zu Problemen innerhalb der
Missionsgemeinschaft geführt. Der aus Wales stammende Jones (jonja
lava) und Griffiths waren volksverbunden und beliebt, stiessen
bei den Kollegen allerdings auf wenig Gegenliebe. Insbesonders
Griffiths wurde von seinen Kollegen als arrogant und selbstsüchtig
beurteilt. Aufgrund von Klagebriefe befahl ihm die L.M.S. die Rückkehr
nach England, der sich Griffiths energisch widersetzte, worauf
ihm ab 1834 sein Gehalt entzogen wurde. Doch Griffiths blieb
trotzdem, sich seiner Unterstützung bei Hof und Volk bewusst.
Nur
noch zwei L.M.S.-Vertreter blieben ab 1835 ein weiteres Jahr in
Antananarivo: Johns und Baker beendeten den Druck eines
madagassisch-englischen Wörterbuches und die Übersetzung
des erbaulichen Buches von John Banyan (1678) 'Pilgrim's
Progress'. (Gedruckt wurde es erst später in London.) Sie
verteilten die Bibeln an christliche Freunde, versteckten die
letzten 70 Bibel-Exemplare und verliessen im Juli 1836 das Land.
Damit
ging eine erste Phase von 16 Jahren Missionstätigkeit zu
Ende: 10’000 bis 15’000 Personen waren unterrichtet worden,
nicht nur Kinder, sondern auch Männer und Frauen. Eine
breite Palette an Handwerksfähigkeiten war madagassischen
Lehrlingen beigebracht worden. Imerina hatte - dank den L.M.S.-
Missionaren - einen technologischen Sprung nach vorn gemacht.
Erst
25 Jahre später, nach dem Tod von Königin Ranavalona I
im Jahre 1861, strömten wieder Missionare ins Land.
Die
madagassischen Christen trafen sich fortan an geheimen Orten,
versteckten sich in den Grotten von Manjakaray und Angavokely
oder flüchteten in die Gebirge von Vakinankaratra und in den
Vonizongo im Norden von Imerina. Der Premierminister Rainiharo
sandte mehrmals Soldaten in diese Regionen, um die Christen
aufzuspüren und in Eisen gelegt in die Hauptstadt zu
eskortieren.
1838
gelang es einer Kolonne von versteckten Christen, sich aus
Vonizongo nach Tamatave durchzuschlagen, wo Johns mit einem
Schiff wartete und 10 nach Südafrika und 6 davon nach England
brachte. Nur einer dieser Glaubensflüchtlinge, Joseph Rasoamaka,
kehrte 1861 nach Madagaskar zurück, die anderen starben in der
Fremde.
Im
September 1838 gelangte Griffiths nach Antananarivo, als Händler
getarnt. Er hatte dem Premierminister Rainiharo die Hälfte
des Profits versprochen und so eine Aufenthaltsgenehmigung von 5
Jahren erhalten. Im Mai 1840 scheiterte sein Einsatz als
Fluchthelfer für 16 Christen, weil der Führer sie verriet.
Zwei Monate später, im Juli 1840, kam David Jones (jonja
lava) mit einem Botschafter der Queen: aber sie brachten nur die
Nachricht, dass Victoria sich mit Prinz Albert verheiraten
werde. Die verärgerte Königin liess die beiden noch im
gleichen Monat abziehen, mit Griffiths im Geleit.
Ranavalona
fand in den Christen immer wieder geeignete Sündenböcke
und Repräsentanten des drohenden Fremden. So befahl sie
mehrere Wellen der Christenverfolgung (1837, 1849, 1857). Die
entdeckten Christen wurden als Sklaven verkauft. Bücher, Bibeln
und die inzwischen eingeschmuggelte und unter den madagassischen
Christen sehr populäre Schrift 'Pilgrim's Progress' wurden
verbrannt.
Etliche
Christen wurden getötet. Als erste Märtyrerin starb
die 37-jährige Rasalama. Sie wurde im August 1837 in
Ambohipotsy, an der südlichen Ecke der rova, mit einer Lanze in
den Rücken zu Tode gebracht. Weitere Todesstrafen folgten, vor
allem in den Jahren 1949 und 1857 (als alle Ausländer, auch
Jean Laborde, ausgewiesen wurden), insgesamt wurden über 50
Christen vergiftet, gespeert, enthauptet, von Felsen gestossen.
1849 wurden vier Christen bei lebendigem Leib verbrannt, weil
sie adliger Herkunft waren und bei ihrem Tod kein Blut fliessen
durfte. Eine der Verurteilten war schwanger und erlitt auf dem
Scheiterhaufen eine Frühgeburt, das Kind wurde ebenfalls Opfer
der Flammen. An dieser Stelle wurde 1870 die Kirche von
Faravohitra erbaut und 'Kirche der Kinder' benannt.
Am
gleichen Tag, dem 29. März 1849, wurden 14 Christen, in
Bastmatten eingerollt, über den Felshang von Ampamarinana
gestossen. (Ampamarinana heisst: der Felsen, von dem man die
Verurteilten stösst.) Einer der Todgeweihten, so berichtet
die fromme christliche Legende, blieb in den Büschen hängen
und rief dem Soldaten, der den steilen Felsen heruntergeklettert
kam, zu, er solle sich nicht in Lebensgefahr begeben, er schaffe
es alleine, sich aus dem Gebüsch zu befreien und
hinunterzufallen.
1856
empfing die Königin den Sekretär der L.M.S., William
Ellis, äusserst zuvorkommend, nachdem sie ihm 1853 und 1854
verboten hatte, bis zur Hauptstadt zu kommen.
Die
wechselhafte Haltung der Königin Ranavalona I hatte wohl
mit ihrer generellen Abneigung gegen das Christentum und fremden
Sitten zu tun und ihrer Vorliebe für die althergebrachte
Tradition. Aber ebenso mit ihrer Furcht vor einer Auslandsabhängigkeit.
Daher tolerierte sie das Treiben der Missionare, solange sie nützliche
Produkte lieferten und durch diese Importsubstitution die
Auslandsabhängigkeit minderten. Zudem hatte sie keine
technologische Alternative und während des Konflikts mit
Frankreich (1828- 1830) war es unweise, sich auch noch mit den
Briten anzulegen.
Erst
mit Laborde, der keiner Missionsgesellschaft angehörte und
schon vor 1835 bewiesen hatte, dass er Kanonen herstellen
konnte, sah die Königin ihre Chance, auf die weiteren
Dienste der Engländer zu verzichten. Zudem waren die
Aufbauarbeiten der Briten erledigt, die madagassischen Arbeiter
ausgebildet. Laborde konnte sich bei seinen Industrieprojekten
auf dieses lokale Know-how stützen. Einzig Cameron und
allenfalls Chick wollte die Königin halten - ihrer
technischen Fähigkeiten wegen.
Kaum
war Ranavalona I gestorben und hatte Rakoto als Radama II den
Thron bestiegen, erlaubte er die freie Ausübung der Religion,
sei es die christliche oder die traditionelle. Im Untergrund
hatte die christliche Gemeinde überlebt und sogar zugenommen:
1836 zählte man zwischen 1000 und 2000 Christen, 1861 waren
es 7000 Gläubige.
Diese
Öffnung wurde von den Missionaren der L.M.S., die in
Mauritius ungeduldig warteten, mit Genugtuung aufgenommen. Und
gleich forderte der L.M.S.-Sekretär William Ellis den König
auf, die Stätten der Märtyrer für den Bau von Kirchen
freizuhalten. Diesem Gesuch entsprach König Radama II ohne
Zögern: in Ambohipotsy, Ambatonakanga, Ampamarinana,
Faravohitra wurden später vier Erinnerungskirchen erbaut.
Die
Missionare strömten wieder ins Land, begleitet von Lehrern
und Ärzten. Ein theologisches Kollegium wurde errichtet und
der Schulunterricht wieder aufgenommen. Auch die künftigen Königinnen
Ranavalona II und Ranavalona III besuchten die protestantischen
Missionsschulen. Die Königin Rasoherina, die 1863 auf
Radama II folgte, errichtete in Analakely ein Spital, das von
drei Missionsgesellschaften geleitet wurde: die britische
L.M.S.(London Missionary Society), die amerikanische FFMA (Friends
Foreign Mission Association) und die norwegische
Missionsgesellschaft N.M.S.(Norske Misjonsselskap).
Die
Periode unmittelbar nach 1861 ist von einem fieberhaften Bau von
Kirchen gekennzeichnet. Die erste Kirche aus Stein - trano vato
(Steinhaus) genannt - war jene von Ambatonakanga, erbaut 1867 an
der Stelle der Kirche von 1831, die Rasalama als Gefängnis
gedient hatte. (Erst nach einer massiven Feuersbrunst 1864 wurde
das Bauen mit Steinen und Ziegelsteinen in der Stadt erlaubt.)
Das
zweite Gotteshaus wurde 1868 in Ambohipotsy an der Stelle
erbaut, wo Rasalama 1837 als erste Christin zu Tode gespeert
wurde.
Zwei
weitere Kirchen entstanden in Faravohitra (1870) in Erinnerung
an die Scheiterhaufenverbrennung von 1849 und in Ampamarinana
(1874) in Gedenken an die Felsenstürze. Der Kirchenbau der
L.M.S. unterstand dem 1863 zurückgekehrten Cameron, dem die
Architekten William Pool und James Sibree zur Seite standen.
Ranavalona
II erlaubte gar den Bau einer protestantischen Kirche innerhalb
der rova und liess sich auch taufen (1869), ebenso wie ihr Mann,
der Premierminister Rainilaiarivony.
Damit
hatte die - protestantisch-calvinistische - Kirche endgültig
die Oberhand über den traditionellen Glauben gewonnen und somit
auch über die Talismane, die 1869 auf Geheiss der Königin
verbrannt wurden.
Die
christliche Kirchengeschichte in Madagaskar war bis zum Ende der
Herrschaft der Königin Ranavalona I die Geschichte der
L.M.S., ihrer Schulen und ihrer Missionshandwerker. Erst danach
setzten sich auch andere Konfessionen fest und gewannen mit
medizinischer Hilfe und Sozialarbeit an Wichtigkeit. Die L.M.S.
konzentrierte sich weiterhin bevorzugt auf Merinaland und half
somit, die Kluft zwischen Merina und Küstenleuten (côtiers) zu
vergrössern.
Die
katholische Kirche verbuchte auf dem Hochland vor 1862 kaum
Erfolge. Henri de Solages hatte 1832 vergeblich versucht, nach
Antananarivo zu kommen, er wurde von Ranavalona I zurückgewiesen
und starb unterwegs an Malaria. In den französisch
dominierten Gebieten von Ste. Marie, Nosy Mitsio (heute Nosy
Radama nordöstlich von Nosy Be) und Nosy Be bestanden ab
1837 katholische Missionen. Ein bekannter katholischer Missionar
jener Zeit und Autor mehrerer Bücher war Abbé Pierre Dalmond,
der 1847 starb. Dalmond suchte weitere Operationsgebiete für
die katholische Mission ausserhalb des französischen
Einflussgebietes, so sah er sich 1842 in Saint-Augustin um, ohne
dass es dort jedoch zu einer Gründung kam. Das älteste
noch erhaltene Gotteshaus Madagaskars steht noch heute in Ste.
Marie: die katholische Kirche wurde 1857 erbaut.
Die
Katholiken kamen erst 1862 nach Tamatave und nach Antananarivo,
1871 nach Fianarantsoa. Auch sie bauten eifrig Kirchen,
errichteten Schulen und Seminare. In Antananarivo entstand unter
anderem die Kathedrale von Andohalo, die 1890 eingeweiht wurde.
Die Jesuiten konzentrierten sich auf die Küstengebiete und
taten sich insbesonders in Lehre und Forschung hervor.
Die
Bezeichnung tempoly (vom englischen temple) für protestantische
Kirchen und eglizy (vom französischen église) für
katholische Gotteshäuser hat sich bis heute in der
madagassischen Sprache gehalten.
Eine
Sonderstellung innerhalb der katholischen Kirchgemeinde nimmt
Victoire Rasoamanarivo ein. Sie lebte von 1848 bis 1894 und
wurde vom Papst Johannes Paul II während seines Besuchs in
Madagaskar 1989 seliggesprochen. Man schreibt ihr ein heiliges,
dem Glauben geweihtes Leben zu, sie soll auch Wunder gewirkt
haben.
Die
anglikanische Mission war ab 1874 vor allem an der Ostküste tätig.
Sie nannte sich später Eklezia Episkopaly Malagasy. In
Antananarivo baute sie die anglikanische Kathedrale von
Ambohimanoro, die 1889 vom Premierminister eingeweiht wurde. Die
Anglikaner begründeten auch ein theologisches Kollegium in
Ambatoharanana bei Ambohimanga.
Mit
der L.M.S. arbeiteten die norwegische Mission (Lutheraner) und
die Quäkers eng zusammen. Der norwegische Missionspionier
Lars Dahle tat sich in der Erforschung von Geschichte, Kultur
und Sprache der Madagassen hervor. Die Norweger waren in
Morondava, Tulear, Fort-Dauphin tätig. 1869 liessen sie
sich im damals kleinen Dorf Antsirabe nieder und konzentrierten
ihre Hauptaktivität fortan auf dieses Gebiet: Spital,
Leprastation, Schulen, Blindenschulen, und später auch
Aktivitäten in der Landwirtschaft und der Milchwirtschaft.
Die Entwicklung von Antsirabe zur zweitgrössten Stadt
Madagaskars geht zu einem nicht unwesentlichen Teil auf die
vielfältigen Tätigkeiten der norwegischen Mission zurück.
Dieser
zweite Anlauf der Missionierung ab 1861 war gekennzeichnet durch
die gebrochene Dominanz der L.M.S. und die Öffnung für
andere Bekenntnisse, durch eine grössere Ausstrahlung über
Imerina hinaus und durch die breitere Tätigkeit der
Missionare. Die erste Welle an Missionaren vor 1835 waren
Lehrer, Handwerker und Linguisten. Die zweite Welle brachte eine
neue Generation von Missionaren, die sich als Ärzte und
Naturwissenschafter betätigten, als Ethnologen und
Soziologen, die dem Land und seinen Traditionen mehr Verständnis
entgegenbrachten.
Die
L.M.S.-Missionare unterrichteten in den Schulen auf
madagassisch, die Katholiken hingegen auf französisch. 1894
besuchten 137’000 Schüler den protestantischen Unterricht und
nur 27’000 die katholischen Schulen. So war die Kenntnis der
französischen Sprache - respektive der kreolischen Form
davon - durch Schule, Colons und Händler viel weiter
verbreitet als die englische Sprache.
Nach
dem Einmarsch der Franzosen 1895 engagierten sich die Missionen
in verstärktem Mass im Schulbereich und in der
medizinischen Versorgung. Die Katholiken wurden von der
Kolonialbehörde wohlwollender behandelt als die Vertreter
anderer Konfessionen. Doch die Invasion der französischen
Truppen schürte in einer ersten Phase eine antichristliche
Tendenz, die vor allem von den Menalamba vertreten wurde. Der Quäker
William Johnson und seine Familie waren die ersten Opfer dieser
Traditionalistenbewegung: die Familie Johnson wurde in
Arivonimamo noch im Jahre 1895 von den Menalamba umgebracht.
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