Forstwirtschaft
Man
nimmt an, dass die ganze Insel noch vor tausend Jahren - mehr
oder weniger - von Wald bedeckt war - oder zumindest von Wald
und dichter Buschsavanne. Doch die zunehmenden Bedürfnisse der
Einwanderer nach Anbaufläche und Brennholz liessen die
Rodungen immer grösser werden. Der Waldreichtum wurde auf kümmerliche
Reste reduziert und schrumpft weiter.
Die
Merina-Könige des 19. Jahrhunderts betrachteten General
hazo (Wald) als invasionshemmenden Verbündeten. Im Jahre 1881
stellte ein Erlass (Code der 305 Artikel) den Wald unter den
Schutz der Merina-Monarchie: er durfte unter Androhung von 10
Jahren Kettenhaft weder angezündet, noch abgeholzt werden. Die
Köhler mussten sich an bestimmte Regeln halten und durften
ihre Tätigkeit nur in genau definierten Gebieten ausüben.
Schon damals waren sich die Merina der fortschreitenden
Abholzung der Wälder bewusst. Noch Mitte des 18.
Jahrhunderts berichtete der Reisende Mayeur, dass er in
bewaldetem Gebiet von Antananarivo nach Antsirabe dahinschritt,
heute sind auf dieser 150 Kilometer langen Strecke nur noch
vereinzelte Bäume zu sehen. Die Knappheit an Holz war im
19. Jahrhundert dermassen gravierend, dass man auf den Märkten
in der Hauptstadt Gras anstelle von Holz verkaufte. Die Leute
von Imerina wurden auch spotthaft 'jene unter der Sonne'
genannt, weil sie keinen schützenden Wald mehr über sich
hatten.
Die
madagassische Bevölkerungsexplosion des 20. Jahrhunderts
unter gleichzeitiger Beibehaltung der archaischen Kochmethoden
liessen die Waldbestände dramatisch schrumpfen.
Nach
offiziellen Angaben ist heute höchstens ein Drittel (19,6
Mio. ha) der Fläche Madagaskars mit Wald bedeckt. Die FAO (UNO-Landwirtschafts-
und Ernährungsorganisation) gibt 26% (15 Mio. ha) an,
andere Quellen sprechen von 9,9 Mio ha (17%) Wald, der sich
aufteilt in 3,8 Mio. ha (6,5 %) primären Regenwald im
Osten: 3,2 Mio. ha (5,5 %) Trockenwald im Westen und 2,9 ha (5
%) Dornenwald im Süden. Realistischer und wahrscheinlicher ist
es, im Jahre 1990 nur noch von rund 10% Waldfläche (6 Mio
ha) zu sprechen. Der Bestand hat seither weiter abgenommen, ohne
dass aber genauere Zahlen vorliegen.
Strittig
ist man sich insbesonders um die Grösse der Dichtwaldzonen
im Osten. Der dichte 'Urwald' nimmt gemäss den offiziellen
Angaben 10,3 Mio. ha ein, wovon sich 70% entlang der Ostküste
befinden.
Generell
können die heutigen Waldbestände in drei Typen
unterteilt werden: der Regenwald entlang der Ostküste, der
westliche und nordwestliche Halbtrockenwald und der südliche
Dornentrockenwald.
Die
ganze Ostflanke Madagaskars ist jedoch durchlöchert von
Brandrodungsfeldern (tavy), auf denen sich später Bambus, Büsche
und Ravenala breit machen - und kaum mehr ein intakter
Waldbestand entstehen kann.
Zudem
tragen die Holzköhler in allen Landesteilen zur massiven
Waldzerstörung bei, ebenso wie der Bedarf an Bauholz und
Exportholz. An sich sollte für jeden Holzschlag eine
Bewilligung beantragt werden, diese Vorschrift wird jedoch kaum
je respektiert. Zudem wird kein selektiver Holzeinschlag
vorgenommen, sondern Parzelle um Parzelle umgehauen. Diese
Aktivitäten geschehen, ohne dass die Holzfäller je zu
einer Aufforstung beitragen.
Jedes
Jahr verschwinden weitere 3% des Waldes, während die Bevölkerung
um 3,2 % zunimmt. So fallen 200’000 ha Wald jährlich der
Axt und dem Feuer zum Opfer.
Einer
der Gründe für die massiv fortschreitende Waldzerstörung
ist der Bedarf an Brennholz und Holzkohle der Bevölkerung.
In früheren Jahrhunderten wurde der Kochtopf auf drei
Kochsteine gestellt und darunter ein Feuer aus Holz oder
Holzkohle entzündet. Diese Methode hat sich bis heute gehalten.
Die Zubereitung der Nahrung geschieht mit dem fatampera: ein
Metallring mit Luftfenster, in dem eine Handvoll Holzkohle zum
Glühen gebracht und darauf der Kochtopf gestellt wird. Dieser
Kochofen verbraucht jedoch - gemessen an der Kochleistung - übermässig
viel Energie. Eine Familie verbraucht im Schnitt zwei Säcke
Holzkohle (100 kg) pro Monat. 80% der Haushalte kochen mit
Holzkohle, nur eine kleine städtische Bevölkerungsschicht
kann sich das teure Kochen mit - importiertem - Gas oder mit
Elektrizität leisten. Ein Entwicklungshilfeprojekt mit
einer verbesserten Version des fatampera hatte wenig Erfolg,
denn der mit einer Isolationsschicht aus Tonerde versehene und
somit um 50% ökonomischere fatampera kostete das Doppelte
bis dreifache eines handelsüblichen fatampera aus Abfallblech
und war somit für einen grossen Teil der buchstäblich von
der Hand in den Mund lebenden Bevölkerung unerschwinglich,
obwohl sich der teurere Anschaffungspreis von 5 sFr. innerhalb
von wenigen Wochen durch einen verminderten Verbrauch von Kohle
amortisiert hätte.
So
bringen tagtäglich und nach wie vor lange Karawanen von
Ochsenwagen und etliche Lastwagen die Kohle in die Hauptstadt
und helfen, die ruinöse Abholzung der Wälder
voranzutreiben. Die ungeheuren Mengen des verkohlten Holzes
haben zu einer drastischen Reduzierung des Waldbestandes geführt.
Inzwischen werden auch die seitlich aus den abgeholzten Baumstrünken
der Eukalyptus hervorschiessenden und erst armdicken Äste
zur Herstellung von Holzkohle benutzt. Und die Holzfäller
und Köhler müssen ihr Material immer weiter weg suchen:
die Umgebung von Antananarivo ist nur noch mit 8% bewaldet.
Jedes
Aufforstungsprogramm sieht sich in erster Linie mit dem Wunsch
nach dem Anpflanzen von Eukalyptus konfrontiert: diese Baumart
ist schnellwachsend und kann in kurzer Zeit geerntet werden: für
Holzkohle. Oft aber verhindern Besitzverhältnisse die
Aufforstung von Zonen. Die Bauern sehen sich nicht motiviert, für
den fanjakana (Staat) die Aufforstungsarbeiten zu machen und
eigene Landreserven für Aufforstungen haben sie oft nicht.
Einen gewissen Erfolg hatte jenes Projekt, das in Zusammenarbeit
mit dem Landwirtschaftsministerium vorsah, das aufgeforstete
öffentliche Land nach drei Jahren den Bauern als
Individualbesitz zu überschreiben. Die Bauern machten sich mit
Elan an die Arbeit in der ihnen zugeteilten Parzelle, tausende
von Dossiers zur Festschreibung der Besitztitel blieben jedoch
in der Verwaltung unerledigt hängen.
Ein
weiteres Phänomen trägt zur Degradierung von Waldbeständen
bei: als politische Meinungsäusserung und Zeichen von
Unzufriedenheit zündet die Landbevölkerung nicht nur
trockene Weiden an, sondern auch Wälder. Zudem gelten Wälder
als ideale Wohnstätten von bösen Geistern, die durch
Abbrennung ihr Refugium verlieren. Ob dies nun eine
heroisierende Legende aus der Kolonialzeit ist, eine Befreiung
von den Zwängen der Tradition oder Akt zur Erlangung göttlicher
Kraft: Tatsache bleibt, dass Madagaskar im Oktober von Nord nach
Süd, von Ost nach West brennt. (Weidebrand und tavy haben womöglich
verschiedene Ursprünge: während das die Methode des
Buschfeuers wahrscheinlich aus Afrika stammt, haben wohl die
indonesischen Einwanderer die Technik des Brandrodungsfeldbaus
eingeführt.)
Das
Ausmass an Abholzungen zur Herstellung von Holzkohle und die Schäden
durch den Brandrodungsfeldbau (tavy) können nicht durch
Aufforstungen (1987: 3000 ha mit über 6 Mio. Setzlingen)
ausgeglichen werden.
Nicht
nur, dass die Bevölkerung an Aufforstungsaktionen nur wenig
Interesse zeigt, auch die Bereitstellung von Setzlingen ist
nicht umfänglich gewährleistet. Das SNGF (Silo
National des Graines Forestières) produziert seit 1986 –
zeitweise unterstützt durch die Schweizer Entwicklungshilfe -
rund 60 verschiedene Arten an Baumsaatgut, 1991 waren es 1300
kg. Für Aufforstungen werden meist die eingeführten Kiefern, Föhre
und Eukalyptus, aber auch Pappeln und Akazien verwendet,
ebenso wie einheimische Arten. Allerdings werden heute homogene
Aufforstungen mit nur einer Baumart vermieden, denn die
monotonen Aufforstungsgebiete - beispielsweise mit Eukalyptus -
haben zur Versauerung der Böden geführt. Zudem bieten
reine Wirtschaftswälder die ökologische Vielfalt nicht
mehr, die zur Erhaltung der Artenvielfalt von Flora und auch
Fauna wünschenswert wären.
Auch
die Armee (als Beschäftigungsprogramm) und Privatfirmen (zu
Werbezwecken) unternehmen sporadische Aufforstungen, ebenso wie
das Landwirtschaftsministerium. So bestehen grosse
Aufforstungsregionen wie in Manankazo nördlich von Ankazobe
oder in der Fanalamanga bei Moramanga. Die ersten Aufforstungen
entstanden zu Beginn des Jahrhunderts mit - aus Australien
stammenden - Eukalyptusschösslingen entlang der
Eisenbahnlinie von Antananarivo nach Tamatave: damit sollte die
Beheizung der Dampflokomotiven gesichert werden.
In
den letzten Primärwäldern werden, trotz der geringen
Ausbeute von 5 bis 30 m3/ha,
auch Edelhölzer geschlagen, so beispielsweise Palisander,
Ebenholz und Rosenholz. Diese Hölzer gehen grösstenteils
in den Export oder werden zu einem kleineren Teil von der
einheimischen Möbelindustrie in Moramanga und in
Antananarivo verarbeitet. Erst ab Dezember 1992 wurde der Export
von unbearbeitetem Palisander verboten. Holz bringt etwa 1% der
madagassischen Exporterlöse. 1991 wurden 1209 Tonnen
Rohholz exportiert, 1992 um die 4’000 Tonnen. Der illegale
Export von Holz ist beträchtlich, in Zahlen aber kaum
bekannt.
Madagaskar
hat zwar auf 6100 Hektaren Reservate und geschützte Parks
eingerichtet, doch die unterdotierten Hüter und ihre geringe
Effizienz vermögen auch dort weder Flora noch Fauna zu schützen.
So geraten auch die letzten Naturgebiete unter starken Druck -
die einzige Rettung der oft sehr spezifischen Flora und Fauna
dieser Lebensräume ist oft nur ihre Isolation weit weg von
Strassen.
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