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PRIORI, das Reisebüro für und in Madagaskar

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Madagaskar, das PRIORI-Buch

Franz Stadelmann

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Madagaskar: Symbiose zwischen Gestern und Heute

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Handwerk und Kunsthandwerk

Die handwerkliche Kunstfertigkeit vieler Madagassen wirkt erstaunlich angesichts der minimen Hilfsmittel an Werkzeugen und Materialien und angesichts der zumeist völlig mangelnden handwerklichen Ausbildung. Meist lernen die Söhne von ihren Vätern bestimmte Fertigkeiten wie den Bau von Pirogen und Auslegerbooten an der Küste. Auch der Bau von Häusern wird fast immer in Eigenarbeit vollbracht - ausser auf dem Hochland, wo für die zweistöckigen Backsteinhäuser spezialisierte Fachkräfte herangezogen werden. Landwirtschaftsgerät und Haushaltsgegenstände aus Holz werden grösstenteils selbst hergestellt, nur die Eisenteile müssen auf dem Markt dazugekauft werden. Das Herstellen von Ochsenwagen und der eisenberingten Holzspeichenräder verlangt eine technisch anspruchsvolle Handwerkskunst, in Imerina haben sich einige Dörfer auf diese Fahrzeugproduktion spezialisiert. Eine der ganz wenigen, seit jeher spezialisierte Handwerkskunst, ist die Schmiederei, die traditionsgemäss auch mit etlichen fady behaftet ist. Auch die boutres, die von den arabischen Dhows inspirierten Frachtsegler der Westküste, werden von Fachleuten in monatelanger Arbeit hergestellt.

Etwas anders manifestiert sich die Situation in den städtischen Gebieten, wo sich Handwerker für alle möglichen Arbeiten finden: Radioreparateur, Möbelhersteller, Autoschlosser, Schuhmacher und viele mehr. Sie ersetzen die mangelnden Werkzeuge und die fehlenden Ersatzteile sehr oft mit viel Improvisation und talentiertem Geschick. Zudem werden alle noch brauchbaren Abfälle - von verrotteten Autos bis hin zu Konservenbüchsen - wiederverwertet. Eine ganze Subkultur an Kleinhandwerkern nutzt diese Abfälle einer reicheren Welt zur Herstellung von Holzkohleöfen (fatampera), Öllämpchen und vielem mehr. Ein grosser Teil der städtischen Bevölkerung deckt ihre Bedürfnisse an Geräten aller Art aus dieser informellen Produktion. Diese städtischen Handwerksbetriebe leiden allesamt unter mangelndem Kapital, um auch nur kleinste Investitionen zu tätigen.

Das führt jedoch dazu, dass so gut wie jede Reparatur eine Bastelei von ungewisser Zuverlässigkeit ist und viele Arbeiten der madagassischen Handwerker anfällig auf weitere Reparaturen sind.

Eine Lehrzeit als Auszubildende machen zwar viele junge Leute mit, indem sie durch 'teilnehmende Beobachtung' lernen, eine begleitende Schulausbildung in theoretischem Wissen wird jedoch nicht geboten. Einzig das staatliche Lehrinstitut INPF (Institut national de formation professionnelle) in Ivato beim internationalen Flughafen von Antananarivo bietet Lehrkurse in Automechanik, Elektrizität und Schlosserei an. Doch auch dort herrscht ein Mangel an Ausbildungsmaterialien, an Lehrplätzen und professioneller Schulführung.

Kleinere Programme kümmern sich um Strassenkinder, Waisen, junge Mütter und jugendliche Prostituierte und stehen oft unter kirchlicher Leitung. Den Jugendlichen werden verschiedenste Fertigkeiten beigebracht und haben bei Mädchen oft den Erfolg, dass ihre Heiratschancen danach steigen.

Die Technik zum Schmelzen und Bearbeiten von Eisen haben die Einwanderer aus Indonesien mitgebracht. Als Gebläse werden zwei Zylinder benutzt, durch die Luft mittels Klappenventile von einem Blasebalg (tafoforana) in das Schmiedefeuer eingeblasen wird. Mit diesem Doppelschalengebläse wurden früher vor allem Waffen (Speerspitzen) geschmiedet, heute stellen die Schmiede eine Reihe von Artikeln her, die sogar Pflüge einschliessen und Eisenräder für die Ochsenkarren der Sakalava.

Einen Zusatzverdienst erarbeiten sich zahlreiche Bauern durch die Herstellung von biriky: gebrannte und luftgetrocknete Lehmziegel. Aus diesen ockerroten Backsteinen werden die 'typischen' Häuser des Hochlandes gebaut.

Das madagassische Kunsthandwerk ist sehr stark funktional bestimmt. Eine eigentliche Produktion von reinen Kunstartikeln gab es bis vor kurzer Zeit nicht. Doch künstlerische Verzierungen wurden schon seit langer Zeit an Gräbern angebracht, verschönerten gewobene Leichentücher und verzierten geflochtene Strohhüte.

Ein grosser Teil der Kunstproduktion ist mit dem Toten- und Ahnenkult verbunden und hier in erster Linie mit den Grabstätten, die je nach Region unterschiedlich gebaut sind. Die Gräber auf dem Hochplateau sind rechteckige, hausähnliche Steinstrukturen von vier bis zehn Metern Seitenlänge und oft über zwei Metern Höhe. Die Wände sind zuweilen farbig bemalt und mit Ornamenten verziert. Im Süden wird das Leben des Verstorbenen in Bildern auf den Grabmauern erzählt. Bei den Mahafaly sind auf dem Grab Holzstelen (aloalo) aufgestellt: geometrisch geschnitzte Stelen, auf der obendrauf eine Figur steht. Dies kann ein Zebu als Zeichen von Reichtum sein, eine Begebenheit aus dem Alltag wie beispielsweise ein Polizist oder eine Trinkszene, es kann auch ein Taxi-Brousse oder ein Flugzeug sein. Bei den Sakalava sind die holzumzäunten Grabstätten mit Vögeln verziert, auch mit Frauen und Männern, die oft in sexuellen Positionen zu sehen sind.

Während sich also die Kunstfertigkeit auf dem Hochland eher in Maurer- und Steinmetzarbeiten äussert, kommen bei den Küstenvölkern die Fähigkeiten der Holzschnitzer zum Zuge.

Insbesonders auf dem Hochland wurden und werden auch heute noch grobgehauene Steinstelen errichtet in Erinnerung an jemanden, der ausserhalb der Heimat gestorben ist und dessen Leichnam nicht in der Heimaterde begraben werden konnte. Zur Zeit der famadihana werden diesen Steinen auch Opferungen (Rum und Honig) dargebracht.

Manchmal ist auch der Name des in fernen Landen Verstorbenen in den Stein eingeritzt, andere Monolithen tragen eine mit Zebuhörnern versehene Plattform.

Diese Monolithen, vatolahy (männlicher Stein) genannt, sind 2 bis 3 Meter hoch. Meist sind sie roh gehauen und ohne Verzierungen, doch es gibt auch Steine, die geometrische Muster aufweisen oder gar ein Gesicht, so zum Beispiel auf dem Marktplatz in der alten Residenzstadt Betafo westlich von Antsirabe.

Diese stehenden Steine wurden zuweilen auch errichtet, um an ein wichtiges Ereignis zu erinnern, wie etwa eine wichtige Rede eines Königs, eine kriegerische Auseinandersetzung oder einen Eidesschwur. Diese Erinnerungssteine werden tsangambato genannt.

Zudem können die vatolahy auch als Schutzsteine vor umherirrende Geister dienen, als Protektion für ein Dorf oder ein ganzes Tal, die das Böse abweisen.

Man trifft die Erinnerungsstelen vor allem im Hochland auf den Marktplätzen, beim Dorfeingang oder entlang von Wegen. Diese aus Indonesien hergebrachte Monolithenkultur wird auch heute noch gepflegt: so erstellte jeder wichtige Ort anlässlich der Unabhängigkeit vom 26. Juni 1960 einen Erinnerungsstein - meist in Form der Umrisse der Insel Madagaskar und fast immer aus Zement gegossen. (Ein Beispiel ist auf der 5000 FMG-Note abgebildet.)

Die für die Monarchen der vergangenen Zeiten sehr wichtigen sampy (Talismane) waren magische und kraftgebende Figuren, durch die der Herrscher seine Legitimation erhielt. Die sampy waren aus speziellem Holz (hazomasina) geschnitzt, die mit Honig in ebenfalls geometrisch dekorierte Zebuhörner gelegt und mit Stoff umhüllt wurden. Die sampy wurden allerdings auf Betreiben der Missionare schon im 19. Jahrhundert praktisch ausgerottet.

Masken werden nur an wenigen Orten an der Küste benutzt. Es gibt in Madagaskar keine Maskenkulte wie etwa im Kongo, keine Maskenbünde und Männermasken wie in Afrika.

Die Wohnhäuser sind kaum dekoriert. Zuweilen jedoch weisen sie einfache Fresken und Ziermuster auf, besonders die Backsteingebäude des Hochlandes haben manchmal über den Türen oder Fenstern eine dekorative Verzierung, die aber gleichzeitig der Verstärkung dient.

Schnitzereien finden sich nur selten - ausser bei den Zafimaniry in der Gegend um Ambositra, die sich als begnadete Holzschnitzer hervorgetan haben. Sie stellen Teller, Stühle, Tische und Bettgestelle her und verzieren sie reich mit geometrischen und figürlichen Motiven.

Die geschickten Holzkünstler stellen auch kunstvolle Truhen und Tablette mit sorgfältigen Einlegearbeiten her. Ebenso bieten sie seit einiger Zeit aus Ebenholz geschnitzte Köpfe mit landestypischen Frisuren an, diese Produkte sind als Kompromiss an die Wünsche der Touristen zu werten.

Die Textilproduktion weist wohl die meisten Variationen aller handwerklicher Produkte auf, nicht nur bezüglich der Rohmaterialien, sondern auch in Form und Herstellungsart.

Zur Herstellung von Kleidern und Matten, Tüchern und Decken wurden und werden noch heute vor allem Seide, Baumwolle und Raphia benutzt. Die Rohmaterialien sind zum Teil nur regional erhältlich, wie etwa Raphia, sodass sich je nach Region verschiedene Textilproduktionen bildeten. In früheren Zeiten wurden auch die Fasern von Bananenstauden und von Aloen benutzt, ebenso wie der Bast von verschiedenen Bäumen. Heutzutage stellen nur noch die Waldbewohner Zafimaniry und Tanala Textilien aus Rindenfasern her, während jene aus Bananenstauden so gut wie ausgestorben sind.

Jedoch werden auch heute noch aus Sisalfasern Objekte (Teppiche, Schuhsohlen) geflochten. Seidenprodukte werden vor allem in Imerina (Arivonimamo) und in Betsileoland (Ambalavao) hergestellt. Dort gilt Seide (landy) als der prestigeträchtigste Grundstoff, die hohe Wertschätzung dieses Materials geht auch aus seiner früheren Bezeichnung Andriamanitra (Gott) hervor. Die madagassische Sprache kennt sehr viele Worte zur Beschreibung von verschiedenen Seidenarten und ihrer unterschiedlichen Qualitäten. Der Seidenfaden wird einerseits von einer einheimischen Raupenart (landibe) produziert und andererseits von einer zu Beginn des 19. Jahrhunderts eingeführten chinesischen Seidenraupenart (landikely). Die landibe ernährt sich von Blättern des tapia-Baumes (uapaca bojeri), während der landikely auf einer aus Mauritius zu diesem Zweck eingeführten Maulbeerbaumart lebt und eine grössere Produktion hervorbringt als die einheimische Sorte. In Betsileoland verwahrt man Raupen und Blätter in Körben in den Webhäusern und lässt die Raupen vor Ort ihre Seide produzieren. Die Fäden der landibe müssen gesponnen werden und diese Wildseide ist nach wie vor die bevorzugtere und teurere und wird vor allem für die kostbaren Totentücher benutzt, während die Seidenfäden der landikely einfach nur von Hand in die Länge gezogen werden können.

Als alltägliches Textilmaterial hat sich Baumwolle etabliert. Sie wurde erst in der jüngeren Zeit eingeführt und wird vor allem zur Herstellung von Industrietextilien benutzt. Auf handwerklicher Basis werden oft farbenfrohe Teppiche hergestellt, in die auch Raphia und Plastikstreifen eingewoben sind. (Generell werden oft verschiedene Materialien miteinander verwoben, so auch Wolle und Raphia.)

Schaf- und Ziegenwolle werden im Süden benutzt, insbesonders von den Mahafaly-Webern, die dazu die Wolle der während der Kolonialzeit eingeführten Angoraziegen nutzen. Die dicken Teppiche und ihre geometrischen braun-weissen Ornamente (oft abstrahierte aloalo-Grabstelen) haben jedoch keine Wurzeln in der Tradition, ebenso wie die Webtechnik und die Bauweise der aufrechtstehenden Webstühle eingeführt wurde. Die Coopérative in Ampanihy, ein Entwicklungshilfeprojekt zur Förderung der Mohair-Teppichweberei, geriet jedoch zu Beginn der 1980er Jahre in Panne. Doch in der Gegend stellen Frauen diese schweren Teppiche weiterhin her und durchsetzen sie oft mit anderem Fasermaterial.

Insbesonders von den Betsimisaraka an der Ostküste werden aus den Wedeln der Raphiapalme rund einen Meter lange Bastfasern gebürstet und daraus farbenfrohe Hemden (akanjo) und Blusen (sadiaka) gewoben,  ebenso wie Körbe, Matten und Hüte, alle mit gefärbten Fasern und meist mit geometrischen Motiven versehen. Aber auch die Sakalava produzieren Raphiatücher mit interessanten geometrischen Mustern. (Raphia ist eines der wenigen madagassischen Worte, die Eingang in europäische Sprachen - auch in die deutsche - gefunden haben.)

Weberei ist traditionellerweise eine Frauenarbeit, dies im Gegensatz zu Afrika. Einzig bei den Antaisaka (bei Fort-Dauphin) finden sich sowohl männliche als auch weibliche Weber, dort gilt die Weberei als Arbeit von Spezialisten. Meist jedoch webt fast jede Frau für sich allein - und kaum in Gruppen - und dies oft für den Hausgebrauch. Kommerzialisiert wurden die Produkte in der Vergangenheit kaum. In Imerina und Betsileoland jedoch, wo spezielle Gewebe für die Totenrituale gewoben wurden, entwickelten sich richtige Webzentren, besonders in Ambositra, in Ambalavao und in Arivonimamo. Diese Spezialisierung wurde auch gefördert durch die Imerina-Könige, die spezielle Dörfer mit der Herstellung von Totentüchern beauftragten. Es werden noch heute einfache, waagrechte Webstühle benutzt, die abends weggepackt werden können. Die Webfäden werden zumeist vor der Verwebung in prallen Farben gefärbt, wozu eine Vielzahl an pflanzlichen Stoffen benutzt werden. Oft besteht ein Tuch aus mehreren zusammengenähten Bahnen. Der L.M.S.-Missionshandwerker Rowlands, der in den 1820er Jahren ins Land gekommen war, um die madagassische Weberei zu 'entwickeln', blieben ohne Ergebnisse: die madagassische Technologie hatte bereits einen hohen Stand. Auch die Vermarktungsbestrebungen der L.M.S. für die Webarbeiten blieben ohne Erfolg.

Ein gewebter Stoff - generell Lamba genannt - wird als Schal getragen oder in einer breiteren Form als Hüfttuch. Die Hochlandfrauen tragen gern ein weisses Schultertuch - wenn möglich aus Seide, die Küstenfrauen sind fast durchwegs in - industrielle gefertigte - Hüfttücher (Lambaoany) gekleidet.

Ebenso wichtig wie die Materialien sind die Farben der Gewebe, denn traditionellerweise gibt es Stoffe für die Toten und jene für die Lebenden. Die Totentücher werden generell Lamba mena (rotes Tuch) genannt, obwohl sie nicht unbedingt rot sein müssen, ebenso müssen die Trauertücher (Lamba maitso) nicht unbedingt grün (maitso) sein. Rot wird mit Autorität und Adel assoziiert, mit Monarchie und Herrschern, mit mystischer Lebenskraft. (Auch blau war eine königliche Farbe.) Weisse Lamba wurden - in Imerina jedenfalls - von den Gewöhnlichen und den Sklaven getragen.

Die Lamba mena (Totentücher) werden aus Seide gewoben. Oft sind diese grossen Tücher nicht rot, sondern verschieden farbig oder gar weiss und an den Fransenenden mit Glasperlen verziert. Diese teuren Stoffe werden in Imerina bei der Leichenwende (famadihana) benutzt, um die Toten neu einzuwickeln. Nur die reicheren Familien können sich diese Stoffe leisten. Ärmere Familien benutzen für diese wichtige Zeremonie Bastmatten und billigere Stoffe.

Die Malerei war so gut wie unbekannt bis ins 19. Jahrhundert. Die älteste erhaltene Malerei, eher von historischem als von künstlerischem Interesse, befand sich im - abgebrannten - Silberpalast (tranovola) der rova in Antananarivo. Sie zeigt Defilees von Soldaten mit Gewehren und farbigen, britischen Kostümen, Höflinge, die nach europäischem Stil der damaligen Zeit gekleidet sind und Leute auf dem Land. Die Bilder sind von floralen Ornamenten umrahmt. Während der Zeit von Radama I wurde Malen und Zeichnen im Collège Royal gelehrt. Ein paar Gemälde, die um 1850 von madagassischen Künstlern geschaffen wurden, sind heute noch erhalten. Im Silberpalast der rova befanden sich auch Gemälde von Merina-Herrschern, gemalt von Ramanankirahina, der von der Königin Ranavalona III nach Frankreich geschickt wurde, um an der Schule des Beaux-Arts in Paris zu studieren.

Im 20. Jahrhundert brachte Madagaskar ein paar sehr gute Maler hervor, ihnen blieb allerdings eine internationale Anerkennung verwehrt. Heute noch ist diese Kunstrichtung weit verbreitet: Aquarelle und Ölbilder, Seidenmalerei und Batikarbeiten erreichen eine hohe künstlerische Leistung. Viele Maler jedoch begnügen sich damit, ein erfolgreiches Bild erneut zu reproduzieren und in Serie herzustellen, denn immer ergibt sich für sie die Frage des Verkaufs. Und dort stimmen der Geschmack der - meist ausländischen Kunden - nicht immer mit jenem des Künstlers überein.

Die Töpferei - vornehmlich eine Frauenarbeit - ist seit den frühen Bewohnern in Madagaskar bekannt. Meist sind die Tonwaren mit einfachen Strichen, Bögen und Linien verziert. Manchmal auch mit Graphit überzogen, was dem Topf ein glänzendes, metallisches Aussehen verleiht. Seltsamerweise hat sich in Madagaskar der Gebrauch der Drehscheibe für die Tonarbeiten nicht erhalten, obwohl dieses Arbeitsinstrument vor tausend Jahren für die weitverbreitete Seifensteinproduktion im Norden der Insel benutzt wurde.

Im Dorf Alasora (südöstlich von Antananarivo) leben noch heute Töpferfamilien, die ihre Gefässe mit den Händen durch Klopfen und Schlagen auf einem vorgeformten Element formen. Die Wulsttechnik ist diesen Familien unbekannt.

Obwohl im Land Edelmetalle vorkommen, entwickelte sich keine Silber- oder Goldschmiedekunst. Im Gegenteil: im 19. Jahrhundert war während Jahrzehnten der Abbau von Edelmetallen verboten. Diese Marktlücke haben im 20. Jahrhundert die eingewanderten Inder besetzt, die heute fast den gesamten Kunstschmiedemarkt und den Schmuckhandel beherrschen.

Musikinstrumente werden in Eigenbau hergestellt, so etwa die Gitarre und insbesonders die bescheiden ornamentierte Valiha aus Bambus, deren Saiten traditionellerweise aus aufgeschlitzten Bambusfasern bestehen, heute jedoch eher aus dünnem Draht. Ebenso schlicht präsentiert sich die voatavo, ein gitarrenartiges Instrument mit einer Kalebasse als Tonkörper.

Das einzige Dekorationsmittel der Küstenfrauen sind der mit möglichst schreienden Farben bedruckte lamba und die kunstvolle Haartracht, denn meist tragen sie kaum Ohrringe, selten Armringe und fast keine Halsketten. Die Haartracht der Frauen lässt auf ihre Herkunft und ihren Stamm schliessen. Insbesonders die gezöpfelten und mit Knoten versehenen Frisuren der Sakalava-Frauen sind ein herausstechendes Dekorationsmittel. Die Haarpracht der Hochlandfrauen ist normalerweise bescheidener: sie begnügen sich mit einem Mittelscheitel und langen Zöpfen. Bei Festlichkeiten jedoch kreieren auch sie gekonnte Frisuren.

Die Edel- und Halbedelsteine haben zu einer aufstrebenden Steinverarbeitungsindustrie geführt. Die Dekorationsgegenstände werden jedoch meist für die Tourismusindustrie hergestellt und richten sich nach diesem Geschmack.

Die Papierherstellung der Antaimoro geht auf die Bedürfnisse der Sorabe-Bücher zurück. So wurde das Papier in früheren Jahrhunderten aus Pflanzenfasern und heute aus alten Stoffresten hergestellt und - neuerdings - mit Trockenblumen geschmückt. Diese Papiere braucht man nun jedoch weniger zum Aufschreiben von uralten Weisheiten, sondern als Wanddekoration oder für Glückwunschkarten.

Fotografie ist ein neues Medium für Madagaskar. Die hohen Kosten ermöglichen es nur wenigen, sich in diesem Gebiet zu betätigen. Hervorstechend sind die Arbeiten von Piero Men, einem 1955 geborenen chinesisch-madagassischen Mischling aus Fianarantsoa. Nur wenige Filme wurden von madagassischen Regisseuren hergestellt, darunter 'dabadaba' über die Unruhen von 1947 und 'dahalo' über die Viehdiebe.

Ungelöste Probleme der Kommerzialisierung und der Finanzierung drücken fast alle madagassischen Kunsthandwerker und Künstler. 1200 Kunsthandwerker sind in der UAMA (Union des Artisans Malgaches) zusammengeschlossen. Nach offiziellen Angaben leben 6000 Kunsthandwerker von den Produkten ihrer Arbeit, in Realität dürfte diese Zahl jedoch wesentlich höher sein, denn unzählige Beamte und Angestellte, Hausfrauen und Arbeitslose fertigen nebenher Produkte aller Art an: Stickereien, Ölbilder, Lederwaren, Spielzeug. Mit der Zunahme des zwar noch immer geringen Tourismus hat sich eine kitschige Flughafenkunst entwickelt: bizarre Muscheldekorationen, glattpolierte Objekte aus Zebuhörnern, die nichts mehr mit einer kulturellen Verankerung zu tun haben.

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Der Ethnologe Franz Stadelmann kam 1988 als Entwicklungshelfer nach Madagaskar. 1994 gründete er das madagassische Reisebüro PRIORI in Antananarivo. PRIORI organisiert Reisen mit mehr Hintergrund und tieferen Einblicken in die Licht und Schatten dieser Insel im Indischen Ozean. 'Sanftes Reisen' soll den BesucherInnen als auch den Besuchten gegenseitiges Verständnis erwecken. PRIORI engagiert sich auch sehr im sozialen und kulturellen Leben Madagaskars. PRIORI steht für Ihre Reisepläne gern zur Verfügung - auch in deutscher Sprache.

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