Handwerk
und Kunsthandwerk
Die
handwerkliche Kunstfertigkeit vieler Madagassen wirkt
erstaunlich angesichts der minimen Hilfsmittel an Werkzeugen und
Materialien und angesichts der zumeist völlig mangelnden
handwerklichen Ausbildung. Meist lernen die Söhne von ihren
Vätern bestimmte Fertigkeiten wie den Bau von Pirogen und
Auslegerbooten an der Küste. Auch der Bau von Häusern wird
fast immer in Eigenarbeit vollbracht - ausser auf dem Hochland,
wo für die zweistöckigen Backsteinhäuser
spezialisierte Fachkräfte herangezogen werden.
Landwirtschaftsgerät und Haushaltsgegenstände aus Holz
werden grösstenteils selbst hergestellt, nur die Eisenteile
müssen auf dem Markt dazugekauft werden. Das Herstellen von
Ochsenwagen und der eisenberingten Holzspeichenräder
verlangt eine technisch anspruchsvolle Handwerkskunst, in
Imerina haben sich einige Dörfer auf diese
Fahrzeugproduktion spezialisiert. Eine der ganz wenigen, seit
jeher spezialisierte Handwerkskunst, ist die Schmiederei, die
traditionsgemäss auch mit etlichen fady behaftet ist. Auch
die boutres, die von den arabischen Dhows inspirierten
Frachtsegler der Westküste, werden von Fachleuten in
monatelanger Arbeit hergestellt.
Etwas
anders manifestiert sich die Situation in den städtischen
Gebieten, wo sich Handwerker für alle möglichen Arbeiten
finden: Radioreparateur, Möbelhersteller, Autoschlosser,
Schuhmacher und viele mehr. Sie ersetzen die mangelnden
Werkzeuge und die fehlenden Ersatzteile sehr oft mit viel
Improvisation und talentiertem Geschick. Zudem werden alle noch
brauchbaren Abfälle - von verrotteten Autos bis hin zu
Konservenbüchsen - wiederverwertet. Eine ganze Subkultur an
Kleinhandwerkern nutzt diese Abfälle einer reicheren Welt
zur Herstellung von Holzkohleöfen (fatampera), Öllämpchen
und vielem mehr. Ein grosser Teil der städtischen Bevölkerung
deckt ihre Bedürfnisse an Geräten aller Art aus dieser
informellen Produktion. Diese städtischen Handwerksbetriebe
leiden allesamt unter mangelndem Kapital, um auch nur kleinste
Investitionen zu tätigen.
Das
führt jedoch dazu, dass so gut wie jede Reparatur eine Bastelei
von ungewisser Zuverlässigkeit ist und viele Arbeiten der
madagassischen Handwerker anfällig auf weitere Reparaturen
sind.
Eine
Lehrzeit als Auszubildende machen zwar viele junge Leute mit,
indem sie durch 'teilnehmende Beobachtung' lernen, eine
begleitende Schulausbildung in theoretischem Wissen wird jedoch
nicht geboten. Einzig das staatliche Lehrinstitut INPF (Institut
national de formation professionnelle) in Ivato beim
internationalen Flughafen von Antananarivo bietet Lehrkurse in
Automechanik, Elektrizität und Schlosserei an. Doch auch
dort herrscht ein Mangel an Ausbildungsmaterialien, an Lehrplätzen
und professioneller Schulführung.
Kleinere
Programme kümmern sich um Strassenkinder, Waisen, junge Mütter
und jugendliche Prostituierte und stehen oft unter kirchlicher
Leitung. Den Jugendlichen werden verschiedenste Fertigkeiten
beigebracht und haben bei Mädchen oft den Erfolg, dass ihre
Heiratschancen danach steigen.
Die
Technik zum Schmelzen und Bearbeiten von Eisen haben die
Einwanderer aus Indonesien mitgebracht. Als Gebläse werden
zwei Zylinder benutzt, durch die Luft mittels Klappenventile von
einem Blasebalg (tafoforana) in das Schmiedefeuer eingeblasen
wird. Mit diesem Doppelschalengebläse wurden früher vor
allem Waffen (Speerspitzen) geschmiedet, heute stellen die
Schmiede eine Reihe von Artikeln her, die sogar Pflüge
einschliessen und Eisenräder für die Ochsenkarren der
Sakalava.
Einen
Zusatzverdienst erarbeiten sich zahlreiche Bauern durch die
Herstellung von biriky: gebrannte und luftgetrocknete
Lehmziegel. Aus diesen ockerroten Backsteinen werden die
'typischen' Häuser des Hochlandes gebaut.
Das
madagassische Kunsthandwerk ist sehr stark funktional bestimmt.
Eine eigentliche Produktion von reinen Kunstartikeln gab es bis
vor kurzer Zeit nicht. Doch künstlerische Verzierungen wurden
schon seit langer Zeit an Gräbern angebracht, verschönerten
gewobene Leichentücher und verzierten geflochtene Strohhüte.
Ein
grosser Teil der Kunstproduktion ist mit dem Toten- und
Ahnenkult verbunden und hier in erster Linie mit den Grabstätten,
die je nach Region unterschiedlich gebaut sind. Die Gräber
auf dem Hochplateau sind rechteckige, hausähnliche
Steinstrukturen von vier bis zehn Metern Seitenlänge und
oft über zwei Metern Höhe. Die Wände sind zuweilen
farbig bemalt und mit Ornamenten verziert. Im Süden wird das
Leben des Verstorbenen in Bildern auf den Grabmauern erzählt.
Bei den Mahafaly sind auf dem Grab Holzstelen (aloalo)
aufgestellt: geometrisch geschnitzte Stelen, auf der obendrauf
eine Figur steht. Dies kann ein Zebu als Zeichen von Reichtum
sein, eine Begebenheit aus dem Alltag wie beispielsweise ein
Polizist oder eine Trinkszene, es kann auch ein Taxi-Brousse
oder ein Flugzeug sein. Bei den Sakalava sind die holzumzäunten
Grabstätten mit Vögeln verziert, auch mit Frauen und Männern,
die oft in sexuellen Positionen zu sehen sind.
Während
sich also die Kunstfertigkeit auf dem Hochland eher in Maurer-
und Steinmetzarbeiten äussert, kommen bei den Küstenvölkern
die Fähigkeiten der Holzschnitzer zum Zuge.
Insbesonders
auf dem Hochland wurden und werden auch heute noch grobgehauene
Steinstelen errichtet in Erinnerung an jemanden, der ausserhalb
der Heimat gestorben ist und dessen Leichnam nicht in der
Heimaterde begraben werden konnte. Zur Zeit der famadihana
werden diesen Steinen auch Opferungen (Rum und Honig)
dargebracht.
Manchmal
ist auch der Name des in fernen Landen Verstorbenen in den Stein
eingeritzt, andere Monolithen tragen eine mit Zebuhörnern
versehene Plattform.
Diese
Monolithen, vatolahy (männlicher Stein) genannt, sind 2 bis
3 Meter hoch. Meist sind sie roh gehauen und ohne Verzierungen,
doch es gibt auch Steine, die geometrische Muster aufweisen oder
gar ein Gesicht, so zum Beispiel auf dem Marktplatz in der alten
Residenzstadt Betafo westlich von Antsirabe.
Diese
stehenden Steine wurden zuweilen auch errichtet, um an ein
wichtiges Ereignis zu erinnern, wie etwa eine wichtige Rede
eines Königs, eine kriegerische Auseinandersetzung oder
einen Eidesschwur. Diese Erinnerungssteine werden tsangambato
genannt.
Zudem
können die vatolahy auch als Schutzsteine vor umherirrende
Geister dienen, als Protektion für ein Dorf oder ein ganzes
Tal, die das Böse abweisen.
Man
trifft die Erinnerungsstelen vor allem im Hochland auf den
Marktplätzen, beim Dorfeingang oder entlang von Wegen.
Diese aus Indonesien hergebrachte Monolithenkultur wird auch
heute noch gepflegt: so erstellte jeder wichtige Ort anlässlich
der Unabhängigkeit vom 26. Juni 1960 einen Erinnerungsstein
- meist in Form der Umrisse der Insel Madagaskar und fast immer
aus Zement gegossen. (Ein Beispiel ist auf der 5000 FMG-Note
abgebildet.)
Die
für die Monarchen der vergangenen Zeiten sehr wichtigen sampy
(Talismane) waren magische und kraftgebende Figuren, durch die
der Herrscher seine Legitimation erhielt. Die sampy waren aus
speziellem Holz (hazomasina) geschnitzt, die mit Honig in
ebenfalls geometrisch dekorierte Zebuhörner gelegt und mit
Stoff umhüllt wurden. Die sampy wurden allerdings auf Betreiben
der Missionare schon im 19. Jahrhundert praktisch ausgerottet.
Masken
werden nur an wenigen Orten an der Küste benutzt. Es gibt in
Madagaskar keine Maskenkulte wie etwa im Kongo, keine Maskenbünde
und Männermasken wie in Afrika.
Die
Wohnhäuser sind kaum dekoriert. Zuweilen jedoch weisen sie
einfache Fresken und Ziermuster auf, besonders die Backsteingebäude
des Hochlandes haben manchmal über den Türen oder Fenstern
eine dekorative Verzierung, die aber gleichzeitig der Verstärkung
dient.
Schnitzereien
finden sich nur selten - ausser bei den Zafimaniry in der Gegend
um Ambositra, die sich als begnadete Holzschnitzer hervorgetan
haben. Sie stellen Teller, Stühle, Tische und Bettgestelle her
und verzieren sie reich mit geometrischen und figürlichen
Motiven.
Die
geschickten Holzkünstler stellen auch kunstvolle Truhen und
Tablette mit sorgfältigen Einlegearbeiten her. Ebenso
bieten sie seit einiger Zeit aus Ebenholz geschnitzte Köpfe
mit landestypischen Frisuren an, diese Produkte sind als
Kompromiss an die Wünsche der Touristen zu werten.
Die
Textilproduktion weist wohl die meisten Variationen aller
handwerklicher Produkte auf, nicht nur bezüglich der
Rohmaterialien, sondern auch in Form und Herstellungsart.
Zur
Herstellung von Kleidern und Matten, Tüchern und Decken wurden
und werden noch heute vor allem Seide, Baumwolle und Raphia
benutzt. Die Rohmaterialien sind zum Teil nur regional erhältlich,
wie etwa Raphia, sodass sich je nach Region verschiedene
Textilproduktionen bildeten. In früheren Zeiten wurden auch die
Fasern von Bananenstauden und von Aloen benutzt, ebenso wie der
Bast von verschiedenen Bäumen. Heutzutage stellen nur noch
die Waldbewohner Zafimaniry und Tanala Textilien aus
Rindenfasern her, während jene aus Bananenstauden so gut
wie ausgestorben sind.
Jedoch
werden auch heute noch aus Sisalfasern Objekte (Teppiche,
Schuhsohlen) geflochten.
Seidenprodukte
werden vor allem in Imerina (Arivonimamo) und in Betsileoland (Ambalavao)
hergestellt. Dort gilt Seide (landy) als der prestigeträchtigste
Grundstoff, die hohe Wertschätzung dieses Materials geht
auch aus seiner früheren Bezeichnung Andriamanitra (Gott)
hervor. Die madagassische Sprache kennt sehr viele Worte zur
Beschreibung von verschiedenen Seidenarten und ihrer
unterschiedlichen Qualitäten. Der Seidenfaden wird
einerseits von einer einheimischen Raupenart (landibe)
produziert und andererseits von einer zu Beginn des 19.
Jahrhunderts eingeführten chinesischen Seidenraupenart (landikely).
Die landibe ernährt sich von Blättern des tapia-Baumes
(uapaca bojeri), während der landikely auf einer aus
Mauritius zu diesem Zweck eingeführten Maulbeerbaumart lebt und
eine grössere Produktion hervorbringt als die einheimische
Sorte. In Betsileoland verwahrt man Raupen und Blätter in Körben
in den Webhäusern und lässt die Raupen vor Ort ihre
Seide produzieren. Die Fäden der landibe müssen gesponnen
werden und diese Wildseide ist nach wie vor die bevorzugtere und
teurere und wird vor allem für die kostbaren Totentücher
benutzt, während die Seidenfäden der landikely einfach
nur von Hand in die Länge gezogen werden können.
Als
alltägliches Textilmaterial hat sich Baumwolle etabliert.
Sie wurde erst in der jüngeren Zeit eingeführt und wird vor
allem zur Herstellung von Industrietextilien benutzt. Auf
handwerklicher Basis werden oft farbenfrohe Teppiche
hergestellt, in die auch Raphia und Plastikstreifen eingewoben
sind. (Generell werden oft verschiedene Materialien miteinander
verwoben, so auch Wolle und Raphia.)
Schaf-
und Ziegenwolle werden im Süden benutzt, insbesonders von den
Mahafaly-Webern, die dazu die Wolle der während der
Kolonialzeit eingeführten Angoraziegen nutzen. Die dicken
Teppiche und ihre geometrischen braun-weissen Ornamente (oft
abstrahierte aloalo-Grabstelen) haben jedoch keine Wurzeln in
der Tradition, ebenso wie die Webtechnik und die Bauweise der
aufrechtstehenden Webstühle eingeführt wurde. Die Coopérative
in Ampanihy, ein Entwicklungshilfeprojekt zur Förderung der
Mohair-Teppichweberei, geriet jedoch zu Beginn der 1980er Jahre
in Panne. Doch in der Gegend stellen Frauen diese schweren
Teppiche weiterhin her und durchsetzen sie oft mit anderem
Fasermaterial.
Insbesonders
von den Betsimisaraka an der Ostküste werden aus den Wedeln der
Raphiapalme rund einen Meter lange Bastfasern gebürstet und
daraus farbenfrohe Hemden (akanjo) und Blusen (sadiaka) gewoben,
ebenso wie Körbe,
Matten und Hüte, alle mit gefärbten Fasern und meist mit
geometrischen Motiven versehen. Aber auch die Sakalava
produzieren Raphiatücher mit interessanten geometrischen
Mustern. (Raphia ist eines der wenigen madagassischen Worte, die
Eingang in europäische Sprachen - auch in die deutsche -
gefunden haben.)
Weberei
ist traditionellerweise eine Frauenarbeit, dies im Gegensatz zu
Afrika. Einzig bei den Antaisaka (bei Fort-Dauphin) finden sich
sowohl männliche als auch weibliche Weber, dort gilt die
Weberei als Arbeit von Spezialisten. Meist jedoch webt fast jede
Frau für sich allein - und kaum in Gruppen - und dies oft für
den Hausgebrauch. Kommerzialisiert wurden die Produkte in der
Vergangenheit kaum. In Imerina und Betsileoland jedoch, wo
spezielle Gewebe für die Totenrituale gewoben wurden,
entwickelten sich richtige Webzentren, besonders in Ambositra,
in Ambalavao und in Arivonimamo. Diese Spezialisierung wurde
auch gefördert durch die Imerina-Könige, die spezielle
Dörfer mit der Herstellung von Totentüchern beauftragten.
Es werden noch heute einfache, waagrechte Webstühle benutzt,
die abends weggepackt werden können. Die Webfäden
werden zumeist vor der Verwebung in prallen Farben gefärbt,
wozu eine Vielzahl an pflanzlichen Stoffen benutzt werden. Oft
besteht ein Tuch aus mehreren zusammengenähten Bahnen. Der
L.M.S.-Missionshandwerker Rowlands, der in den 1820er Jahren ins
Land gekommen war, um die madagassische Weberei zu 'entwickeln',
blieben ohne Ergebnisse: die madagassische Technologie hatte
bereits einen hohen Stand. Auch die Vermarktungsbestrebungen der
L.M.S. für die Webarbeiten blieben ohne Erfolg.
Ein
gewebter Stoff - generell Lamba genannt - wird als Schal
getragen oder in einer breiteren Form als Hüfttuch. Die
Hochlandfrauen tragen gern ein weisses Schultertuch - wenn möglich
aus Seide, die Küstenfrauen sind fast durchwegs in -
industrielle gefertigte - Hüfttücher (Lambaoany) gekleidet.
Ebenso
wichtig wie die Materialien sind die Farben der Gewebe, denn
traditionellerweise gibt es Stoffe für die Toten und jene für
die Lebenden. Die Totentücher werden generell Lamba mena (rotes
Tuch) genannt, obwohl sie nicht unbedingt rot sein müssen,
ebenso müssen die Trauertücher (Lamba maitso) nicht unbedingt
grün (maitso) sein. Rot wird mit Autorität und Adel
assoziiert, mit Monarchie und Herrschern, mit mystischer
Lebenskraft. (Auch blau war eine königliche Farbe.) Weisse
Lamba wurden - in Imerina jedenfalls - von den Gewöhnlichen
und den Sklaven getragen.
Die
Lamba mena (Totentücher) werden aus Seide gewoben. Oft sind
diese grossen Tücher nicht rot, sondern verschieden farbig oder
gar weiss und an den Fransenenden mit Glasperlen verziert. Diese
teuren Stoffe werden in Imerina bei der Leichenwende (famadihana)
benutzt, um die Toten neu einzuwickeln. Nur die reicheren
Familien können sich diese Stoffe leisten. Ärmere
Familien benutzen für diese wichtige Zeremonie Bastmatten und
billigere Stoffe.
Die
Malerei war so gut wie unbekannt bis ins 19. Jahrhundert. Die
älteste erhaltene Malerei, eher von historischem als von künstlerischem
Interesse, befand sich im - abgebrannten - Silberpalast (tranovola)
der rova in Antananarivo. Sie zeigt Defilees von Soldaten mit
Gewehren und farbigen, britischen Kostümen, Höflinge, die
nach europäischem Stil der damaligen Zeit gekleidet sind
und Leute auf dem Land. Die Bilder sind von floralen Ornamenten
umrahmt. Während der Zeit von Radama I wurde Malen und
Zeichnen im Collège Royal gelehrt. Ein paar Gemälde, die
um 1850 von madagassischen Künstlern geschaffen wurden, sind
heute noch erhalten. Im Silberpalast der rova befanden sich auch
Gemälde von Merina-Herrschern, gemalt von Ramanankirahina,
der von der Königin Ranavalona III nach Frankreich
geschickt wurde, um an der Schule des Beaux-Arts in Paris zu
studieren.
Im
20. Jahrhundert brachte Madagaskar ein paar sehr gute Maler
hervor, ihnen blieb allerdings eine internationale Anerkennung
verwehrt. Heute noch ist diese Kunstrichtung weit verbreitet:
Aquarelle und Ölbilder, Seidenmalerei und Batikarbeiten
erreichen eine hohe künstlerische Leistung. Viele Maler jedoch
begnügen sich damit, ein erfolgreiches Bild erneut zu
reproduzieren und in Serie herzustellen, denn immer ergibt sich
für sie die Frage des Verkaufs. Und dort stimmen der Geschmack
der - meist ausländischen Kunden - nicht immer mit jenem
des Künstlers überein.
Die
Töpferei - vornehmlich eine Frauenarbeit - ist seit den frühen
Bewohnern in Madagaskar bekannt. Meist sind die Tonwaren mit
einfachen Strichen, Bögen und Linien verziert. Manchmal
auch mit Graphit überzogen, was dem Topf ein glänzendes,
metallisches Aussehen verleiht. Seltsamerweise hat sich in
Madagaskar der Gebrauch der Drehscheibe für die Tonarbeiten
nicht erhalten, obwohl dieses Arbeitsinstrument vor tausend
Jahren für die weitverbreitete Seifensteinproduktion im Norden
der Insel benutzt wurde.
Im
Dorf Alasora (südöstlich von Antananarivo) leben noch
heute Töpferfamilien, die ihre Gefässe mit den Händen
durch Klopfen und Schlagen auf einem vorgeformten Element
formen. Die Wulsttechnik ist diesen Familien unbekannt.
Obwohl
im Land Edelmetalle vorkommen, entwickelte sich keine Silber-
oder Goldschmiedekunst. Im Gegenteil: im 19. Jahrhundert war während
Jahrzehnten der Abbau von Edelmetallen verboten. Diese Marktlücke
haben im 20. Jahrhundert die eingewanderten Inder besetzt, die
heute fast den gesamten Kunstschmiedemarkt und den Schmuckhandel
beherrschen.
Musikinstrumente
werden in Eigenbau hergestellt, so etwa die Gitarre und
insbesonders die bescheiden ornamentierte Valiha aus Bambus,
deren Saiten traditionellerweise aus aufgeschlitzten
Bambusfasern bestehen, heute jedoch eher aus dünnem Draht.
Ebenso schlicht präsentiert sich die voatavo, ein
gitarrenartiges Instrument mit einer Kalebasse als Tonkörper.
Das
einzige Dekorationsmittel der Küstenfrauen sind der mit möglichst
schreienden Farben bedruckte lamba und die kunstvolle
Haartracht, denn meist tragen sie kaum Ohrringe, selten Armringe
und fast keine Halsketten. Die Haartracht der Frauen lässt
auf ihre Herkunft und ihren Stamm schliessen. Insbesonders die
gezöpfelten und mit Knoten versehenen Frisuren der
Sakalava-Frauen sind ein herausstechendes Dekorationsmittel. Die
Haarpracht der Hochlandfrauen ist normalerweise bescheidener:
sie begnügen sich mit einem Mittelscheitel und langen Zöpfen.
Bei Festlichkeiten jedoch kreieren auch sie gekonnte Frisuren.
Die
Edel- und Halbedelsteine haben zu einer aufstrebenden
Steinverarbeitungsindustrie geführt. Die Dekorationsgegenstände
werden jedoch meist für die Tourismusindustrie hergestellt und
richten sich nach diesem Geschmack.
Die
Papierherstellung der Antaimoro geht auf die Bedürfnisse der
Sorabe-Bücher zurück. So wurde das Papier in früheren
Jahrhunderten aus Pflanzenfasern und heute aus alten Stoffresten
hergestellt und - neuerdings - mit Trockenblumen geschmückt.
Diese Papiere braucht man nun jedoch weniger zum Aufschreiben
von uralten Weisheiten, sondern als Wanddekoration oder für Glückwunschkarten.
Fotografie
ist ein neues Medium für Madagaskar. Die hohen Kosten ermöglichen
es nur wenigen, sich in diesem Gebiet zu betätigen.
Hervorstechend sind die Arbeiten von Piero Men, einem 1955
geborenen chinesisch-madagassischen Mischling aus Fianarantsoa.
Nur wenige Filme wurden von madagassischen Regisseuren
hergestellt, darunter 'dabadaba' über die Unruhen von 1947 und
'dahalo' über die Viehdiebe.
Ungelöste
Probleme der Kommerzialisierung und der Finanzierung drücken
fast alle madagassischen Kunsthandwerker und Künstler. 1200
Kunsthandwerker sind in der UAMA (Union des Artisans Malgaches)
zusammengeschlossen. Nach offiziellen Angaben leben 6000
Kunsthandwerker von den Produkten ihrer Arbeit, in Realität
dürfte diese Zahl jedoch wesentlich höher sein, denn unzählige
Beamte und Angestellte, Hausfrauen und Arbeitslose fertigen
nebenher Produkte aller Art an: Stickereien, Ölbilder,
Lederwaren, Spielzeug. Mit der Zunahme des zwar noch immer
geringen Tourismus hat sich eine kitschige Flughafenkunst
entwickelt: bizarre Muscheldekorationen, glattpolierte Objekte
aus Zebuhörnern, die nichts mehr mit einer kulturellen
Verankerung zu tun haben.
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