Siedlungsformen
'Hodiee'
ruft man höflich vor der Haustür, um sich anzukünden. 'Mandroso'
erhält man als Antwort, 'komm herein'. Der Fremde wird in
einem madagassischen Haus respektabel empfangen und bewirtet.
Gastfreundschaft wird in hohen Ehren gehalten. Jeder Besucher
wird mit einem freundlichen 'veloma' (auf Wiedersehen)
verabschiedet.
Das
traditionelle madagassische Haus besteht aus einem Zimmer mit
einer Kochstelle auf drei Steinen.
Das Haus ist rechteckig, der in Kontinentalafrika übliche
Rundbau der Lehmhütten ist in Madagaskar unbekannt
(indonesisches Erbe). Der
Dachfirst verläuft in Nord-Süd Richtung, die einzige Tür
befindet sich an der Westseite des Hauses.
Die
- traditionellen - Dörfer weisen daher eine lineare
Struktur auf, die Tür des einen Hauses führt zur Rückseite
des nächsten. Oft ziehen sich die Dörfer in langen
Zeilen hin, die engstehenden Häuser lassen kaum freie
Durchgänge zwischen den drei oder vier Zeilengassen.
Im
Haus geniesst die Nord-Ost Ecke als Platz der Ahnen eine
besondere Wertschätzung. Die Mauern und Ecken haben eine
magische Bedeutung. Die erdgestampften Böden der Zimmer
sind mit Bastmatten bedeckt. Im Haus sitzt und schläft die
Familie auf Matten, die je nach Bedarf ausgerollt werden.
Der
Bau eines Hauses wird vorgängig mit dem ombiasy besprochen.
Dabei sind viele Aspekte zu beachten, um sicher zu sein, dass
dieses Gebäude später wirklich ein Heim wird und sich
die Bewohner darin wohl fühlen. Generell sollten Häuser während
der Winterzeit gebaut werden. Das Haus muss sich den
Gegebenheiten der Topografie und des Dorfes unterordnen und muss
in einer bestimmten Konstellation zum Familiengrab stehen. So
darf es insbesonders nicht nördlich der Grabstätte
gebaut werden. Dieses fady erklärt sich aus den
Schlafgewohnheiten der traditionellen madagassischen Familie:
die Männer schlafen mit dem Kopf gegen Norden, Frauen und
Kinder gegen Osten. Mit dem Kopf gegen Süden zu schlafen ist
fady, weil so die Hexen schlafen, und man also zur Hexe würde.
Steht nun also das Haus im Norden des Grabes, würden die
Schlafenden die Toten, die in der Schlafposition der Lebenden
bestatten werden, mit den Füssen an 'die Köpfe kicken' und
dies wäre äusserst gefährlich. (Ebenso ist es
tabu, mit dem Kopf gegen Westen zu schlafen, weil man dadurch
'den Sonnenaufgang kicken' würde.) Doch während bei den
Merina das Bett im Osten steht, befindet es sich bei den
Betsileo im Westen.
Der
Sohn soll kein grösseres Haus als jenes seines Vaters
bauen, weil er damit die Autorität des Vaters in Frage
stellen würde.
In
Imerina zwang der Mangel an Holz schon früh, die Häuser
aus Lehm zu bauen, zudem waren Holzbauten ein Symbol von Königsstatus.
Daher mussten die Häuser innerhalb der Stadt Antananarivo
aus Holz oder zumindest aus pflanzlichem Material bestehen. Erst
nach der Feuersbrunst von 1864, die ein ganzes Quartier zerstörte,
wurden Backsteinhäuser erlaubt. Nur bei den Zafimaniry
blieb die Tradition der reinen Holzbauten erhalten. Die Betsileo
hatten früher ebenfalls Holzplankenhäuser, die für
bedeutende Persönlichkeiten reserviert waren. Das
Einzimmerhaus der gewöhnlichen Leute war aus Lehm und
Zweigen erbaut, seit der Merina-Okkupation zunehmend aus
getrocknetem gestampftem Lehm, indem Lehmschicht um Schicht
hochgezogen wurde. Sogar zweistöckige Häuser wurden
mit dieser Methode gebaut. Als langsame Verbesserung bürgerte
sich in Imerina - ausgehend von den Techniken der britischen
Missionshandwerker - das Formen des Lehms zu Backsteinen ein.
Die geformten Backsteine wurden an der Sonne getrocknet, als
Neuerung entwickelte sich die effizientere Trocknung durch
Feuer. Um den kleinen Hof des Hauses verlief eine Lehmmauer, auf
die Kuhdung und Bananensaft verstrichen wurde.
Die
schmalen, hohen Zweistockhäuser mit einer offenen Veranda
haben den Baustil der Missionare des 19. Jahrhunderts zum
Vorbild. Diese charakteristischen Zweistockhäuser finden
sich auf dem Hochland, in anderen Gegenden nur, wenn sie von
Hochlandeinwanderern gebaut wurden. Bei den Häusern der
Betsileo führt eine Treppe ausserhalb des Hauses hoch zum
Obergeschoss, bei den Merina verläuft die steile Treppe im
Haus zwischen den beiden Erdgeschosszimmern. Gewohnt wird in den
beiden Zimmern im Obergeschoss, dort befindet sich auch die Küche.
Die Häuser haben kein Kamin, der Rauch zieht durch das geöffnete
Fenster ab. Im nördlichen Zimmer schläft der Hausherr,
dort werden auch die Besucher empfangen. Die Möbilierung
ist zumeist spärlich, ein Tisch, ein paar Stühle, die
Kiste der Hausfrau, die sie als Braut in die Ehe mitbrachte. Im
Untergeschoss dient der eine Raum als Stall für die Tiere, im
anderen wird der Vorrat gelagert. Die Fenster haben keine
Scheiben, sie werden mit rohgezimmerten Jalousien geschlossen.
Die
stattlichen Backsteinhäuser gelten als Symbol für ländlichen
Reichtum, ebenso wie die von vier Backsteinsäulen getragene
Veranda (lavarangana vom französischen véranda). Die
Veranda ist aus Holz gebaut und hat oft eine verzierte
Balustrade. Der Konstruktion eines solchen Hauses ist - nach dem
Bau einer angemessenen Grabstätte - der erstrebenswerteste
Wunsch der Hochlandbewohner. Bedeckt sind die Häuser
zumeist mit Gras, heutzutage wird das Grasdach als Zeichen von
Reichtum und Status durch Wellblech ersetzt. In den Städten
finden sich auch Ziegeldächer.
Bis
1800 waren die Dörfer des Hochplateaus aus Sicherheitsgründen
auf den Hügelkuppen gebaut, und wohl auch, um der Malaria in
den sumpfigen Niederungen zu entgehen. Doch der Weg zu den im
Talgrund gelegenen Reisfeldern und zum Wasser war oft weit. Eine
ovale oder runde Mauer und oft mehrere Gräben umgaben die Dörfer.
Der Eingang wurde jede Nacht mit einem mannshohen Rundstein
geschlossen. Im zentralen Imerina finden sich tausende solcher
Dorfanlagen, vom Flugzeug oft nur noch als runde Gräben auf
Hügelkuppen auszumachen. Nur verhältnismässig wenige
dieser alten Dörfer sind heute noch bewohnt.
Die
Erstarkung der Merina brachte zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein
höheres Mass an Sicherheit. Die bewehrten Dörfer
zersplitterten sich in Weiler, die oft noch von rechteckigen
Mauern umgeben waren. Diese bis zu vier Meter hohen Mauern (tamboho)
wurden ab Mitte des 19. Jahrhunderts nicht mehr gebaut.
Die
Dörfer des Hochlandes mit ihren ockerroten Mauern
unterscheiden sich deutlich von den Häusern an der Küste,
die mit pflanzlichen Stoffen gebaut sind. Diese Häuser aus
einem Bambusgeflecht (terilatsy) stehen meist auch auf fusshohen
Stelzen und haben grösstenteils nur ein Zimmer. An der
Westküste werden auch Häuser gebaut, indem erst ein
Rastergitter aus Bambus und Holzstangen errichtet wird und die Lücken
dann mit Lehm ausgestopft werden. In diesen Dörfern sind
meist nur die staatlichen Gebäude (Post, Schule,
Verwaltung) aus Stein gebaut.
Die
Hauptstadt Antananarivo gleicht einem grossen Dorf. Obwohl es
ganz wenige Hochhäuser gibt und etliche drei- bis vierstöckige
Häuser, ist die Mehrheit der Häuser in einem Stil
gebaut, der in jedem beliebigen Hochlanddorf angetroffen werden
kann. Anders in den Vororten, wo die Zersiedelung grosse
Dimensionen angenommen hat. Die Stadt strahlt heute besonders
auf ihrer Nordachse bis zu 20 Kilometer aus. Dort sind auch
Villen entstanden, die mit einem madagassischen Baustil nichts
mehr zu tun haben, ebenso wie die Bewohner einen europäischen
Lebensstil pflegen. Die modernen Madagassen lieben es, ihre Häuser
mit schweren dunklen Möbeln auszustatten und die Wände
mit goldumrahmten grossflächigen Ölbildern zu behängen.
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