PRIORI

PRIORI, das Reisebüro für und in Madagaskar

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Madagaskar, das PRIORI-Buch

Franz Stadelmann

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Madagaskar: Symbiose zwischen Gestern und Heute

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Siedlungsformen

'Hodiee' ruft man höflich vor der Haustür, um sich anzukünden. 'Mandroso' erhält man als Antwort, 'komm herein'. Der Fremde wird in einem madagassischen Haus respektabel empfangen und bewirtet. Gastfreundschaft wird in hohen Ehren gehalten. Jeder Besucher wird mit einem freundlichen 'veloma' (auf Wiedersehen) verabschiedet.

Das traditionelle madagassische Haus besteht aus einem Zimmer mit einer Kochstelle auf drei Steinen.  Das Haus ist rechteckig, der in Kontinentalafrika übliche Rundbau der Lehmhütten ist in Madagaskar unbekannt (indonesisches Erbe).  Der Dachfirst verläuft in Nord-Süd Richtung, die einzige Tür befindet sich an der Westseite des Hauses.

Die - traditionellen - Dörfer weisen daher eine lineare Struktur auf, die Tür des einen Hauses führt zur Rückseite des nächsten. Oft ziehen sich die Dörfer in langen Zeilen hin, die engstehenden Häuser lassen kaum freie Durchgänge zwischen den drei oder vier Zeilengassen.

Im Haus geniesst die Nord-Ost Ecke als Platz der Ahnen eine besondere Wertschätzung. Die Mauern und Ecken haben eine magische Bedeutung. Die erdgestampften Böden der Zimmer sind mit Bastmatten bedeckt. Im Haus sitzt und schläft die Familie auf Matten, die je nach Bedarf ausgerollt werden.

Der Bau eines Hauses wird vorgängig mit dem ombiasy besprochen. Dabei sind viele Aspekte zu beachten, um sicher zu sein, dass dieses Gebäude später wirklich ein Heim wird und sich die Bewohner darin wohl fühlen. Generell sollten Häuser während der Winterzeit gebaut werden. Das Haus muss sich den Gegebenheiten der Topografie und des Dorfes unterordnen und muss in einer bestimmten Konstellation zum Familiengrab stehen. So darf es insbesonders nicht nördlich der Grabstätte gebaut werden. Dieses fady erklärt sich aus den Schlafgewohnheiten der traditionellen madagassischen Familie: die Männer schlafen mit dem Kopf gegen Norden, Frauen und Kinder gegen Osten. Mit dem Kopf gegen Süden zu schlafen ist fady, weil so die Hexen schlafen, und man also zur Hexe würde. Steht nun also das Haus im Norden des Grabes, würden die Schlafenden die Toten, die in der Schlafposition der Lebenden bestatten werden, mit den Füssen an 'die Köpfe kicken' und dies wäre äusserst gefährlich. (Ebenso ist es tabu, mit dem Kopf gegen Westen zu schlafen, weil man dadurch 'den Sonnenaufgang kicken' würde.) Doch während bei den Merina das Bett im Osten steht, befindet es sich bei den Betsileo im Westen.

Der Sohn soll kein grösseres Haus als jenes seines Vaters bauen, weil er damit die Autorität des Vaters in Frage stellen würde.

In Imerina zwang der Mangel an Holz schon früh, die Häuser aus Lehm zu bauen, zudem waren Holzbauten ein Symbol von Königsstatus. Daher mussten die Häuser innerhalb der Stadt Antananarivo aus Holz oder zumindest aus pflanzlichem Material bestehen. Erst nach der Feuersbrunst von 1864, die ein ganzes Quartier zerstörte, wurden Backsteinhäuser erlaubt. Nur bei den Zafimaniry blieb die Tradition der reinen Holzbauten erhalten. Die Betsileo hatten früher ebenfalls Holzplankenhäuser, die für bedeutende Persönlichkeiten reserviert waren. Das Einzimmerhaus der gewöhnlichen Leute war aus Lehm und Zweigen erbaut, seit der Merina-Okkupation zunehmend aus getrocknetem gestampftem Lehm, indem Lehmschicht um Schicht hochgezogen wurde. Sogar zweistöckige Häuser wurden mit dieser Methode gebaut. Als langsame Verbesserung bürgerte sich in Imerina - ausgehend von den Techniken der britischen Missionshandwerker - das Formen des Lehms zu Backsteinen ein. Die geformten Backsteine wurden an der Sonne getrocknet, als Neuerung entwickelte sich die effizientere Trocknung durch Feuer. Um den kleinen Hof des Hauses verlief eine Lehmmauer, auf die Kuhdung und Bananensaft verstrichen wurde.

Die schmalen, hohen Zweistockhäuser mit einer offenen Veranda haben den Baustil der Missionare des 19. Jahrhunderts zum Vorbild. Diese charakteristischen Zweistockhäuser finden sich auf dem Hochland, in anderen Gegenden nur, wenn sie von Hochlandeinwanderern gebaut wurden. Bei den Häusern der Betsileo führt eine Treppe ausserhalb des Hauses hoch zum Obergeschoss, bei den Merina verläuft die steile Treppe im Haus zwischen den beiden Erdgeschosszimmern. Gewohnt wird in den beiden Zimmern im Obergeschoss, dort befindet sich auch die Küche. Die Häuser haben kein Kamin, der Rauch zieht durch das geöffnete Fenster ab. Im nördlichen Zimmer schläft der Hausherr, dort werden auch die Besucher empfangen. Die Möbilierung ist zumeist spärlich, ein Tisch, ein paar Stühle, die Kiste der Hausfrau, die sie als Braut in die Ehe mitbrachte. Im Untergeschoss dient der eine Raum als Stall für die Tiere, im anderen wird der Vorrat gelagert. Die Fenster haben keine Scheiben, sie werden mit rohgezimmerten Jalousien geschlossen.

Die stattlichen Backsteinhäuser gelten als Symbol für ländlichen Reichtum, ebenso wie die von vier Backsteinsäulen getragene Veranda (lavarangana vom französischen véranda). Die Veranda ist aus Holz gebaut und hat oft eine verzierte Balustrade. Der Konstruktion eines solchen Hauses ist - nach dem Bau einer angemessenen Grabstätte - der erstrebenswerteste Wunsch der Hochlandbewohner. Bedeckt sind die Häuser zumeist mit Gras, heutzutage wird das Grasdach als Zeichen von Reichtum und Status durch Wellblech ersetzt. In den Städten finden sich auch Ziegeldächer.

Bis 1800 waren die Dörfer des Hochplateaus aus Sicherheitsgründen auf den Hügelkuppen gebaut, und wohl auch, um der Malaria in den sumpfigen Niederungen zu entgehen. Doch der Weg zu den im Talgrund gelegenen Reisfeldern und zum Wasser war oft weit. Eine ovale oder runde Mauer und oft mehrere Gräben umgaben die Dörfer. Der Eingang wurde jede Nacht mit einem mannshohen Rundstein geschlossen. Im zentralen Imerina finden sich tausende solcher Dorfanlagen, vom Flugzeug oft nur noch als runde Gräben auf Hügelkuppen auszumachen. Nur verhältnismässig wenige dieser alten Dörfer sind heute noch bewohnt.

Die Erstarkung der Merina brachte zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein höheres Mass an Sicherheit. Die bewehrten Dörfer zersplitterten sich in Weiler, die oft noch von rechteckigen Mauern umgeben waren. Diese bis zu vier Meter hohen Mauern (tamboho) wurden ab Mitte des 19. Jahrhunderts nicht mehr gebaut.

Die Dörfer des Hochlandes mit ihren ockerroten Mauern unterscheiden sich deutlich von den Häusern an der Küste, die mit pflanzlichen Stoffen gebaut sind. Diese Häuser aus einem Bambusgeflecht (terilatsy) stehen meist auch auf fusshohen Stelzen und haben grösstenteils nur ein Zimmer. An der Westküste werden auch Häuser gebaut, indem erst ein Rastergitter aus Bambus und Holzstangen errichtet wird und die Lücken dann mit Lehm ausgestopft werden. In diesen Dörfern sind meist nur die staatlichen Gebäude (Post, Schule, Verwaltung) aus Stein gebaut.

Die Hauptstadt Antananarivo gleicht einem grossen Dorf. Obwohl es ganz wenige Hochhäuser gibt und etliche drei- bis vierstöckige Häuser, ist die Mehrheit der Häuser in einem Stil gebaut, der in jedem beliebigen Hochlanddorf angetroffen werden kann. Anders in den Vororten, wo die Zersiedelung grosse Dimensionen angenommen hat. Die Stadt strahlt heute besonders auf ihrer Nordachse bis zu 20 Kilometer aus. Dort sind auch Villen entstanden, die mit einem madagassischen Baustil nichts mehr zu tun haben, ebenso wie die Bewohner einen europäischen Lebensstil pflegen. Die modernen Madagassen lieben es, ihre Häuser mit schweren dunklen Möbeln auszustatten und die Wände mit goldumrahmten grossflächigen Ölbildern zu behängen.

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Der Ethnologe Franz Stadelmann kam 1988 als Entwicklungshelfer nach Madagaskar. 1994 gründete er das madagassische Reisebüro PRIORI in Antananarivo. PRIORI organisiert Reisen mit mehr Hintergrund und tieferen Einblicken in die Licht und Schatten dieser Insel im Indischen Ozean. 'Sanftes Reisen' soll den BesucherInnen als auch den Besuchten gegenseitiges Verständnis erwecken. PRIORI engagiert sich auch sehr im sozialen und kulturellen Leben Madagaskars. PRIORI steht für Ihre Reisepläne gern zur Verfügung - auch in deutscher Sprache.

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Franz Stadelmann

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