Ernährung
und Gesundheit
Ein
Kranker im traditionellen Umfeld wird in erster Linie glauben,
Opfer einer Verhexung oder eines Bestrafungsaktes eines Ahnen zu
sein. Daher wird er wahrscheinlich erst den Rat eines
traditionellen Heilers und Wahrsagers suchen. In vielen Fällen
kann ihm auch geholfen werden, entweder durch Anrufung der Ahnen
und durch rituelle Akte oder durch die traditionelle
Pflanzenheilkunde, die in ländlichen Gebieten sehr stark
verbreitet ist. Einzelne Heiler erlangen einen überregionalen
Ruf wie jener in Ambatokely bei Maevatanana (Provinz Mahajanga).
Dieses
Wissen wird seit einigen Jahren auch industriell genutzt. So ist
mittlerweile auch wissenschaftlich bestätigt, dass ein
Extrakt aus der Wurzel des rosaroten Immergrün ein wirksames
Medikament gegen Kinderleukämie ergibt. Madagaskar
exportiert inzwischen um die 100 Tonnen Immergrünwurzeln für
die Pharmaindustrie.
Für
Geburten wird die Hebamme (renin-jaza) des Dorfes gerufen, die
ihre Kunst normalerweise durch jahrelange Erfahrung und nicht
durch eine medizinische Ausbildung erlangt hat.
Die
Fruchtbarkeit zu unterbrechen ist an sich eine fremde Idee in
Madagaskar, denn je mehr Kinder geboren werden, umso angesehener
ist die Mutter und umso potenter der jeweilige Vater. Trotzdem
kommen Abtreibungen sehr häufig vor. Gründe dazu sind
soziale Misere, Inzest und der erwachende Freiheitswillen vieler
junger Frauen. Die Abtreibungen werden von traditionellen
Spezialistinnen vorgenommen, oft unsachgemäss und auch noch
bis zum fünften Monat der Schwangerschaft. Eine im fünften
Monat gemachte Abtreibung kostet 150’000 FMG. Die
Erfolgsquoten sind unbekannt, aber die Dunkelziffer der Todesfälle
infolge unsachgemässer Abtreibung dürfte hoch sein. Die
Pille ist für den Grossteil der Frauen unerschwinglich, ebenso
wie sich der Gebrauch von Präservativen kaum durchgesetzt
hat.
Das
Hauptproblem und der Verursacher der meisten Krankheiten bleibt
die Unterernährung und eine damit einhergehende Fehlernährung:
85% der Fälle von Kindersterblichkeit hängen mit
Unterernährung zusammen. Die Säuglings- und
Kindersterblichkeit liegt bei 110 von 1000 Geburten.
Die
Nahrung ist einseitig auf das Essen von Reis ausgerichtet. Doch
nicht einmal davon gibt es genug für alle. Eine normale Ernährung
sollte 400 Gramm geschälten Reis (rund 600 Gramm Paddy) pro
Kopf und Tag betragen, was einer theoretischen Menge von 221
Kilo pro Jahr entspricht. Längst nicht alle Reisbauern
schaffen es, die entsprechende Menge Reis für ihre - oft
zahlreiche - Familie zu ernten. Natürlich sucht jede Familie,
ihren Speiseplan durch Maniok und Mais, Gemüseblätter und
etwas Fleisch zu bereichern. Doch sehr oft genügt der Vorrat
nicht bis zur nächsten Ernte. Und noch häufiger stellt
sich durch das ausschliessliche Essen von Reis eine krasse
Fehlernährung ein. Leidtragende davon sind vor allem die
Kinder.
Ein
Drittel aller Krankheiten geht auf Probleme der Atemwege zurück.
Fast so viele sind Infektionskrankheiten und Parasiten. Malaria
ist eine immer wiederkehrende Krankheit, die sich vor allem an
der Ostküste findet. Dort jedoch haben die Leute grösstenteils
damit zu leben gelernt, anders als auf dem Hochland, wo Malaria
zur Zeit der Kolonisation so gut wie ausgerottet war. Doch im
Laufe der Jahrzehnte eroberte die Anopheles-Stechmücke wieder
das Hochplateau, sodass in den Jahren 1987/88 auf dem Hochland
mehrere hunderttausend Leute starben. 1988/89 wurde ein
Notprogramm zur Bekämpfung der Malaria gestartet: DDT wurde
gespritzt und Chloroquine abgegeben. Daraufhin gab es 75%
weniger Tote.
Tuberkulose
bleibt weit verbreitet und wird mangels Medikamenten kaum
behandelt. Grosse Bevölkerungsteile sind von dieser
Krankheit befallen.
Insbesonders
Kinder leiden regelmässig unter chronischem Durchfall.
Ein
grosses Problem stellen die Hautkrankheiten dar, die aufgrund
von mangelnder Hygiene auftreten. Nur 1 bis 5% der Haushalte auf
dem Land sind mit Latrinen ausgerüstet.
Bilharziose
ist weit verbreitet. So gut wie jeder Reisbauer leidet unter
dieser chronischen Infektion, denn die Bilharziose übertragenden
Saugwürmer und ihre Wirtsschnecken leben gern in stehendem
Wasser.
Die
madagassische Art, Gefühlsregungen zu unterdrücken und
Emotionen nicht zu zeigen, führt bei sehr vielen Leuten zu
Geschwulsten und Wucherungen im Magen und Darm, verschlimmert
durch den Stress des täglichen Überlebens und die
oftmaligen Hungerphasen.
Geschlechtskrankheiten
jeder Art sind häufig verbreitet, auch Aids (französisch
Sida) hat sich bereits festgesetzt. 1989 wurden 7 Fälle
bekannt, 1991 waren es 26 und 1992 34 Aids-Fälle. Dass Aids
bereits weiten Bevölkerungsteilen bekannt ist, zeigt, dass
Sida bereits als Kindername benutzt wird. USAID finanziert die
kostenlose Abgabe von monatlich 25’000 Präservativen.
Zudem wurden ab 1993 680 Prostituierte und Homosexuelle regelmässig
vom Institut d'Hygiène Sociale kontrolliert. Es ist zu befürchten,
dass Aids die am weitesten verbreitete Krankheit der nächsten
Jahre sein wird.
Die
durch Flöhe übertragene Pest flackert immer wieder auf,
insbesonders in der Region um Vangaindrano und um Ambositra,
aber auch alle paar Jahre in den ärmeren Quartieren der
Hauptstadt.
Eine
ganze Generation Madagassen wurde durch die Vorkommnisse der
Pestseuche ab den 1920er Jahre geprägt. Diese Seuche,
worauf die Kolonialadministration mit Härte und drastischen
Massnahmen reagierte, hinterliess bei vielen Madagassen einen
bitteren Geschmack, der nicht ausschloss, dass diese Krankheit
als Vorwand genutzt wurde, das Volk noch mehr zu unterdrücken.
Die
Pest flammte gegen 1894 in China in grossem Ausmass auf, und
dieser Pestherd pflanzte sich bis an die Küste Madagaskars
fort. In den Häfen der Insel traten schon wenige Jahre
danach kurze Epidemien auf, die pro Jahr ein paar hundert Tote
forderte: Tamatave (1898 - 1900), Diégo-Suarez (1899),
Mahajanga (1902 - 1907). Dann folgten Jahre mit nur sporadischen
Pestfällen, um dann - wahrscheinlich aus Mauritius eingeführt
- zu Beginn des Jahres 1921 insbesonders in den Hafenstädten
des Ostküste erneut drastisch auszubrechen.
Die
Kolonialregierung veranlasste zwar die Desinfektion der eingeführten
Waren und die sofortige Isolierung der infizierten Personen.
Trotzdem gelangte die Pest nach Antananarivo: Im Juni 1921
ereigneten sich die ersten Pestfälle in der Stadt und
wurden von den Leuten erst als Verhexungen betrachtet. Diese bis
anhin auf dem Hochland unbekannte Krankheit verursachte zwar
weniger Tote als etwa die Spanische Grippe von 1919, während
der in Madagaskar 86’000 Leute starben, wovon ein Drittel in
der Region um Antananarivo, doch die Angst vor der unbekannten
Krankheit verursachte Panik und Angst. (Nicolas Mayeur
berichtete zwar schon in der zweiten Hälfte des 18.
Jahrhunderts von einer tödlichen Krankheit, die er
Brustkrankheit nannte, und womit er möglicherweise die Pest
gemeint haben mochte.)
Am
1. Juli 1921 wurde erklärt, dass die damals rund 60’000
Einwohner zählende Hauptstadt von der Pest befallen sei.
Betroffen waren vor allem die stark bevölkerten ärmeren
Quartiere der Stadt in den tiefer gelegenen Zonen wie Isotry und
das Gebiet um den Bahnhof. Ein Fünftel der Stadtbevölkerung
floh in Panik in ihre Heimatdörfer - und trug so zur
Verbreitung der Pest bei. Die Kolonialverwaltung verbot
daraufhin den städtischen Bewohnern, ihre Quartiere zu
verlassen. Trotzdem breitete sie sich allmählich in ganz
Imerina aus. 1923 ereigneten sich die ersten Pestfälle in
Itasy, 1925 in Vakinankaratra, dann in Ambositra. Die Dörfer
entlang der Strassen wurden als erste betroffen, so lagen die
Verbreitungsgebiete der Pest entlang der 'Route de la peste'.
Die
Pest brach - und bricht noch heute - insbesonders zwischen
Oktober bis April aus, der Zeit der Regen und der Hitze. Dies
ist auch die Zeit, in der die Ratten aus den überschwemmten
Reisfeldern, wo sie während der Trockenzeit in Höhlen
wohnen, in die Dörfer und Vorratskammern kommen.
Verantwortlich für die Verbreitung der Pest war und ist die
schwarze Hausratte (rattus rattus), die praktisch überall in
Madagaskar vorkommt. Und nicht die Wanderratte (rattus
norvegicus), die von den Schiffen eingeschleppt, vor allem in
den Küstenstädten Tamatave und Diégo-Suarez vorkommt.
Erst ab 1982 wurde die rattus norvegicus auch in der Hauptstadt
gesichtet. Andere Nagetiere spielten keine Rolle bei der Übertragung
der Pest. Eine Ratte transportiert 5 bis 7 Flöhe, die dann
auf den Menschen übergreifen.
So
gut wie alle pestinfizierten Personen starben meist innerhalb
von einer Woche. In der Stadt Antananarivo waren es 1921 53
Personen, in den folgenden Jahren zwischen 50 und 150 pro Jahr.
Die Pest war jedoch immer eher eine dörfliche als eine städtische
Krankheit. Während der Zeit der schlimmsten Pestepidemie
(1924 - 1936) starben 34’510 Leute in Madagaskar an Pest,
wovon nur 1297 in der Stadt Antananarivo. Etliche Dörfer
starben komplett aus, andere wie Manjakandriana verloren jedes
Jahr 10% ihrer Bevölkerung. Zahlreiche Dörfer wurden
nach dem ersten Pesttoten von den Bewohnern verlassen.
Die
Kolonialadministration reagierte rasch und durchgreifend: alle
Toten mussten untersucht werden, Pesttote durften nicht im
Familiengrab beerdigt werden, ihnen war die famadihana verboten.
Weit nicht alle Pestfälle wurden der Administration bekannt
gegeben, denn wo ein Pestfall auftrat, wurde das Haus von der
Kolonialadministration verbrannt oder gar ganze Dörfer
niedergebrannt. Zudem wurden die Pesttoten ohne Unterschied von
Stand und Klasse in speziellen Friedhöfen (für
Antananarivo befand er sich auf dem Hügel von Ampasampito)
beerdigt, was dem Klassendenken der Madagassen zuwiderlief. Dies
führte zu einem steten Kleinkrieg zwischen den Madagassen und
der Kolonialregierung: Pestkranke wurden nicht deklariert, um
sie nicht in Isolationsquarantäne geben zu müssen, Tote
wurden im Geheimen beerdigt. Wer mit dem Toten Kontakt gehabt
hatte, floh, um einer Quarantäne zu entgehen. Oder auch
Ärzte wurden bestochen: jene, die sich nicht bestechen
liessen, wurden mpanao pesta genannt (Pestmacher), die anderen
deklarierten die Toten als nicht pestbefallen und ermöglichten
so ein Begräbnis gemäss den alten Riten und zum
Wohlgefallen der Ahnen.
Schnell
auch entstand das Gerücht, die Pest sei von den Europäern
erfunden worden, um die Madagassen zu dezimieren, zu beleidigen
und zu unterdrücken. Dazu kam, dass kaum Europäer von der
Pest befallen wurden und dass ihnen auch eine freiere
Zirkulation zugestanden wurde. Der erste europäische
Pestfall geschah erst 1926.
Die
Hauptstadt glich einer belagerten Stadt mit Militär
(senegalesische Schützen) als Wächter. Wer die Zone
illegal verlassen wollte und erwischt wurde, wurde äusserst
hart bestraft. In den späteren Jahren musste jeder
Madagasse einen Sanitätspass mit Impfausweis vorweisen, um
sich in eine andere Zone begeben zu dürfen. Erst ab 1932 wurde
wieder eine freiere Zirkulation gewährt. Als ungerecht
empfanden es die Madagassen auch, dass die französisierten
Madagassen und jene mit Zugang zu den Europäern ebenfalls
eine weit mildere Behandlung erfuhren.
Dass
die Pest auch eine politische Waffe der Kolonialadministration
sei, hielt sich als hartnäckiges Gerücht, als die
Impfungen obligatorisch wurden. Diese Impfungen kannten zwar
einen ersten Erfolg, weil sich die Bevölkerung an die
effizienten Impfungen gegen die Spanische Grippe erinnerte. Nur
machte die Pestimpfung keineswegs immun gegen die Krankheit und
war zudem nur von kurzer Dauer. So wurden der Bevölkerung
bis 1935 mehrere Impfstoffe aufgezwungen, die sich danach als
nutzlos erwiesen. Trotz der Impfungen starben in den 20er und frühen
30er Jahren pro Jahr um die 2500 Personen. 1928 war ein schweres
Pestjahr mit über 3000 Toten in ganz Madagaskar, ebenso 1932 -
1935. Erst ab 1932 wurde der von Dr. Girard entwickelte
Impfstoff E.V. wirksam und verminderte daraufhin die Pestfälle
drastisch. Doch die Madagassen hatten ihr Vertrauen in die
Impfaktionen verloren: sie flohen bei Impfkampagnen oder
pressten den Impfstoff nach erfolgter Impfung wieder aus der
Haut aus Angst vor einer Verhexung. Nur durch wirkliche Unterdrückung
und quasi militärischem Durchgreifen wurden die
Impfkampagnen erzwungen. So sank die Zahl der Pesttoten ab 1937
unter tausend pro Jahr. Ab 1940 wurde die Impfung obligatorisch
für die Bewohner der tiefgelegenen Quartiere der Hauptstadt.
Doch noch 1940 gab es 754 Pesttote in Madagaskar und die Seuche
flackerte bis 1953 immer wieder auf und verursachte jährlich
100 bis 300 Tote.
Ab
1950 wurde DDT zur Vernichtung der Ratten eingesetzt. Und erst
ab 1950 galt die von 185’000 Bewohnern und 19’000 Häuser
grosse Hauptstadt als pestfrei. Im Lande jedoch wurde die Pest
nie ausgerottet: jedes Jahr starben und sterben ein paar Dutzend
Leute an Pest. Betroffen sind vor allem die endemischen Zonen um
Vangaindrano und Ambositra. Die Tendenz ist wieder zunehmend. So
sind in den letzten Jahren um die hundert Fälle pro Jahr in
Madagaskar zu verzeichnen. 1992 wurden landesweit 160 Fälle
bekannt.
Von
1954 bis 1979 ereigneten sich in der Hauptstadt nur wenige
isolierte Einzelfälle an Pest, doch ab dieser Zeit macht
sie sich immer wieder bemerkbar. Und dies gilt auch für andere
Städte, wie beispielsweise Mahajanga (1991). Als Mittel der
Pestbekämpfung wird in der Hauptstadt jede tote Ratte mit
25 FMG bezahlt. Trotzdem bilden die engen Wohnbedingungen, die
hygienischen Verhältnisse, der ungenügende Müllabtransport
und die mangelnden Abwassersysteme weiterhin mögliche
Pestherde.
Während
Geisteskranke kaum abgesondert werden, ist die - heilbare -
Lepra eine eher verschwiegene Krankheit. Die daran Erkrankten
verstecken sich nach Möglichkeit und entziehen sich aus
Scham einer möglichen Behandlung. In der Region von
Antananarivo werden die Leprakranken in Manankavaly weit
ausserhalb der Stadt gehalten. Auf das Land verteilt finden sich
26 religiös geführte Lepraspitäler. Die geheilten
Leprakranken finden oft nur schwer den Weg zurück zur Familie
und hinaus aus der gesellschaftlichen Randstellung.
Eine
Erkrankung jeglicher Art ist auch in Madagaskar eine teure
Angelegenheit. Die staatlichen Mediziner sollten eigentlich ihre
Dienste kostenlos ausüben, doch hat sich auch hier ein System
der kleinen Korruption etabliert. Zudem sind die Ärzte oft
ungenügend ausgebildet. Die Standardanalyse der Mediziner für
jegliche Krankheit ist 'fatigue générale' (generelle Müdigkeit)
und 'décalcification' (Kalziummangel). Dagegen wird in der
Mehrheit der Fälle ein Malariamittel und Calzium
verschrieben. Der Kranke muss sich dann die Medikamente selbst
besorgen oder sie dem Arzt abkaufen - ohne in vielen Fällen
geheilt zu werden.
Die
Impfprogramme für Kinder (Tetanus, Keuchhusten, Diphtherie)
funktionieren hingegen gut, weil damit eine Art Wettbewerb
verbunden ist. Rund 60% der Kinder sind geimpft.
Auffallend
sind die unglaublich schlechten Zähne eines grossen Teils
der Bevölkerung, vor allem auf dem Hochland. Dies mag auf
einseitige Ernährung (Reis) zurückgehen, die Madagassen
hingegen führen diesen Umstand auf den Mangel an Kalzium zurück.
(Dieser Mythos hält sich hartnäckig und wurde ohne
Erfolg vom Schweizer Pharmaprofessor Georges Peters jahrelang
bekämpft.) Die Universität Mahajanga bildet hunderte
von Zahnärzten aus: allerdings findet nur ein geringer Teil
der ausgebildeten Zahnärzte eine Arbeit im
Gesundheitsministerium und für viele bleibt die Eröffnung
einer eigenen Praxis mangels Finanzen ein unrealisierbarer
Traum.
Das
Gesundheitsministerium verwaltet fast 2000 öffentliche
Einrichtungen. Jede Provinz verfügt über ein Generalspital, in
Antananarivo sind es zwei mit mehreren Fachabteilungen. Dazu
kommen 13 Regionalspitäler, in denen auch Operationen
vorgenommen werden, 58 einfache Spitäler, 103 medizinische
Zentren, 413 Sanitätsposten, 145 Krankenstationen, 75
Entbindungsstationen und 1110 Ersthilfeposten. Diese recht hohe
Dichte täuscht aber über die tatsächliche Qualität
der Krankenpflege hinweg: keine 150 FMG für Medikamente stehen
pro Jahr pro Bewohner zur Verfügung. Für den Kauf von
Medikamenten werden 27% des Gesundheitsbudgets aufgewendet; um
die 60% wird für die 14’300 Angestellten verbraucht. Das
Gesamtbudget des Gesundheitsministeriums bewegt sich um die 30
Milliarden FMG, für den Kauf der Medikamente fallen bloss 4,5
Milliarden FMG (1992) ab, wozu noch die Schweizer
Entwicklungshilfe jahrelang weitere 5 Milliarden beisteuerte,
doch allein für den Kauf von Medikamenten würden 24 Milliarden
gebraucht.
1975
wurden 9,2% der öffentlichen Ausgaben für das
Gesundheitswesen aufgewendet, 1992 waren es nur noch 4,8%.
Trotzdem kannte die Zweite Republik im Gesundheitswesen eine
erstaunlichen Konstanz. Der langjährige (von 1975 bis 1991)
Gesundheitsminister, Dr. Jean Jacques Seraphin, führte die Idee
der 'Gesundheit für Alle' schon vor der UN-Konferenz von Alma
Ata (UdSSR) ein. So geht die fast landesweite Abdeckung mit
Sanitätsposten auf seine Initiative zurück, die Zahl der
Mediziner und des paramedizinischen Personals verdoppelte sich
von 1975 bis 1985. Allerdings blieben seine Pläne oft nur
Papier, und es entwickelte sich gerade beim Ankauf und der
Verteilung von Medikamenten eine gravierende Korruption.
Das
Gesundheitswesen ist hoffnungslos unterfinanziert. Der Staat
deckt bloss 10 - 20% der theoretischen Bedürfnisse an
Medikamenten. Rund 1,5 Mia. FMG wurden in der 80er Jahren für
Medikamentenkauf des Staates ausgegeben, wobei diese Summe
infolge der Geldentwertung 1989 zehnmal weniger wert waren als
1980. Pro Person standen innerhalb der staatlichen Strukturen
nur etwa 35 FMG pro Jahr zur Verfügung, dazu kamen rund 100 FMG
an Geschenken von nationalen und internationalen Organisationen.
Zudem wurden vom staatlichen Gesundheitsdienst eine unvernünftig
hohe Anzahl an Medikamenten eingekauft (über 5000 Produkte),
statt sich gemäss der Liste der Weltgesundheitsorganisation
(WHO) auf wenige hundert Produkte einzuschränken.
Im
Durchschnitt gibt jeder Madagasse 4500 FMG pro Jahr für
Medikamente aus. Um ein Minimum der Bedürfnisse zu decken,
sollten 3 US-$ pro Jahr und Kopf zur Verfügung stehen.
Mediziner
werden an den Universitäten in Antananarivo und in
Mahajanga ausgebildet. Anfangs 1991 waren 3259 Ärzte in
Madagaskar tätig, also ein Mediziner auf 4742 Personen, was
verglichen mit afrikanischen Ländern eher gut ist. (Kamerun
beispielsweise hat einen Arzt auf 12’000 Personen). Allerdings
befinden sich in Madagaskar über 1000 Ärzte ohne Arbeit.
In zehn Jahren wurden 2116 Mediziner ausgebildet. Doch die Flächendeckung
ist nicht erreicht, zum Teil auch wegen der geringen Dichte der
Bevölkerung. Gegen Ende der zweiten Republik wurde erlaubt,
als unabhängiger Arzt (Médecin Libre) eine selbständige
Praxis zu führen. Doch diese konzentrieren sich vor allem auf
die Städte, was in einzelnen Quartieren sogar zu einem
Überangebot führt. Hingegen steht den 31’000 Einwohnern
der Region um Fenoarivo Be (rund 170 km westlich von
Antananarivo) nur ein einziger Arzt zur Verfügung.
Zu
den Leistungen des Staates gesellen sich etliche Spitäler
und unzählige Krankenstationen der religiösen Orden,
die in vielen Gegenden die einzige medizinische Anlaufstelle der
Kranken bilden. Insbesonders die Lutheraner haben sich in diesem
Sektor stark engagiert und bieten medizinische Hilfe zu zugänglichen
Preisen. In der Hauptstadt haben sich in den letzten Jahren auch
ein paar private Kliniken etabliert, von denen allerdings der
Grossteil der Madagassen aus Geldmangel ausgeschlossen bleibt.
Das ehemalige Hôpital Girard et Robic, das später Hôpital
Militaire genannt wurde, wurde zu Beginn 1993 in Centre
Hospitalier de Soavinandriana umbenannt und steht unter französischer
Leitung.
Die
madagassischen Apotheker wurden aufgrund von Stipendien zum
grossen Teil in der ehemaligen UdSSR und in Rumänien
ausgebildet, viele fanden nach ihrer Rückkehr keine Arbeit im
Gesundheitsministerium und machten sich selbständig. So
schossen ab 1990 zahlreiche Pharmacies aus dem Boden, heute
findet sich in jedem Stadtquartier von Antananarivo mindestens
eine Apotheke und eine Kleinstadt wie Moramanga beispielsweise
hat deren drei. Leider neigen diese Apotheken dazu, die
teuersten Medikamente zu verkaufen und keine einzige hat sich
auf das Konzept der markenunabhängigen 'médicaments
essentiels' (generische Produkte unter DCI) spezialisiert. So
kommt die Behandlung gegen Würmer mit einem Markenprodukt über
70 mal teurer als mit einem generischen Produkt, das den
gleichen aktiven Wirkstoff beinhaltet.
Erst
seit jüngster Zeit bieten die Apotheken auch homöopathische
Mittel an. Chinesische und koreanische Ärzte haben die
Methode der Akupunktur eingeführt, doch das Gros der Studenten
wird nach traditioneller westlicher Medizin ausgebildet.
Chinesische Ärzte leiten Spitäler in Mahitsy (nördlich
von Antananarivo), in Vatomandry an der Ostküste und in
Ambovombe im tiefen Süden.
Etliche
Firmen importieren Medikamente und vertreiben sie zum Teil über
eigene Kanäle, wobei sie gern arbeitslose Ärzte als
Vertreter einstellen. Nur drei Firmen produzieren Medikamente in
Madagaskar: die mit chinesischer Hilfe 1985 erstellte und unter
Staatskontrolle arbeitende OFAFA und die mit privatem Kapital
erbauten Firmen FARMAD und RATHERA. Auch sie können sich
nicht zur Produktion von Basismedikamenten entschliessen. Eine
Anzahl an Instituten widmet sich der pharmazeutischen Forschung.
Auf
dem Hochland gehört es zur Tradition, dass sich die Frauen
im Roten Kreuz organisieren und dort tätig sind. Während
der Kolonialzeit war die Verteilung des Malariamittels Nivaquine
eine der Hauptaktivitäten, dazu führten sie oft Kantinen für
Minderbemittelte und verteilten Kleider und organisierten
Festivitäten. In fast jedem Dorf der Hochlandes gibt es
heute noch das Rotkreuzhaus, obwohl es meist nur noch spärlich
benutzt wird.
Einen
interessanten Versuch startete 1989 die Schweizer
Entwicklungshilfe (DEZA): zusammen mit dem
Gesundheitsministerium wurden die Dorfbewohner animiert, sich in
einer Genossenschaft zu organisieren und eine Dorfapotheke
PhComm (pharmacies communautaires) zu gründen. Die Mitglieder
bezahlten jeweils für das kommende Jahr einen von der
Genossenschaft festgelegten Betrag und erhielten dadurch im
Falle einer Krankheit Zugang zu den mit diesem Geld eingekauften
Medikamenten. Zur Auswahl standen 39 Medikamente (médicaments
essentiels) und 7 paramedizinische Artikel wie
Desinfizierungsmittel, Verbandstoff und Spritzen. Durch das
System der PhComm standen über 1000 FMG pro Person zur Verfügung,
die Zentralstelle lieferte die bestellten und vorbezahlten
Medikamente bis zum Bezirksort und übergab sie direkt in die Hände
der Dorfvertreter. Dieses Experiment umfasste nach nur zwei
Jahren Existenz bereits fast 100 Dörfer und erreichte
160’000 Leute (mehr als 1% der gesamten Bevölkerung).
Dieses Experiment hatte insbesonders in der Provinz Fianarantsoa
durchschlagenden Erfolg und liess sogar ein neues Wort
entstehen: 'facom', die madagassische Aussprache für PhComm.
Eng
mit dem Gesundheitszustand der Bevölkerung verbunden sind
Wasser und Hygiene. Zwar ist das Herbringen von sauberem Wasser
für den täglichen Bedarf schon ein grosses Problem, doch
die Evakuierung der Abwässer und die Verhinderung der
Übertragung von Krankheitserregern stellt eine noch so gut
wie ungelöste Herausforderung. In den Städten sind nur
3% der Abwässer kanalisiert. Auf dem Land existieren
keinerlei Massnahmen zur Evakuierung von Abwässern, ebenso
wie Toiletten und Latrinen weitgehend fehlen. Die Stadt
Fianarantsoa hat bloss zwei öffentliche Toiletten, wobei
eine defekt ist.
Die
Agglomeration Antananarivo mit ihren 1,3 Mio. Menschen
verbraucht 35,8 Mio. m3
Wasser pro Monat. Das Wasser stammt vom See Mandroseza, der
seinerseits durch eine Stauwehr aus dem Fluss Ikopa gespiesen
wird, wo sich auch eine Wasseraufbereitungsanlage befindet.
Nur
55% der 220 Orte Madagaskars mit mehr als 2000 Einwohnern haben
Wassersysteme, die allerdings in etliche Fällen nicht mehr
funktionieren. Die 10’000 Einwohner des Landstädtchens
Ambalavao beispielsweise verfügen über 20 öffentliche
Wasserbrunnen, die nur während 6 Stunden pro Tag
funktionieren.
Keine
10% der ruralen Bevölkerung hat Zugang zu akzeptablem
Trinkwasser in genügender Quantität und in tolerabler
Distanz (je nach Topografie 500 m). In den Dörfern auf dem
Land existieren kaum Wasserversorgungsanlagen. 33% der Landbevölkerung
nimmt ihr Wasser aus Flüssen, 39% von Quellen und 17% aus
Brunnen. 10% fängt Regenwasser auf.
Schon
zu Beginn der 1990er Jahre war klar, dass die ambitiösen
Projekte der Regierung nicht zu erreichen waren: Ziel für das
Jahr 2000 war, jedem Stadtbewohner einen individuellen
Wasseranschluss zur Verfügung zu stellen und eine
Tageskonsumation von 70 l pro Person zu ermöglichen. Im ländlichen
Bereich war geplant, gemeinsame Brunnen zu schaffen, um in höchstens
15 Minuten (dh. 500 m) Fussmarsch Wasser herzubringen. Jedem
Bewohner sollte mindestens 20 l pro Tag zur Verfügung stehen.
Die
staatliche Unternehmen JIRAMA (Jiro sy Rano Malagasy), gegründet
1975, unterhält 63 der bestehenden 97 städtischen
Wassersysteme in Madagaskar und versorgt somit 1,5 Millionen
Menschen, wovon eine halbe Million einen privaten Anschluss hat
und eine Million eine öffentliche Wasserstelle aufsucht.
Pro Wasserstelle werden 500 Personen berechnet. JIRAMA liefert
im Monat 75,7 Mio. m3 Wasser, wobei fast die Hälfte für Antananarivo.
Die
restlichen 34 Systeme werden von den collectivités décentralisées
verwaltet, sie bedienen allerdings weniger als eine halbe
Million Menschen.
Einen
wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Wasserversorgung auf dem
Land spielen nichtstaatliche Organisationen (ONG). 17% der
gesamten Investitionen im Wasserbereich werden allein von den
vier ONG (FIKRIFAMA, ELM, CARITAS und SAF-FJKM) getätigt,
die als Grundbedingung für ihre Intervention die aktive
Mitarbeit der Dorfbevölkerung stellen.
Die
Methode der ökumenischen FIKRIFAMA basiert auf der
Initiative der Dorfbevölkerung. Wenn das Gesuch eingegangen
ist, gehen Mitarbeiter der FIKRIFAMA ins Dorf und diskutieren
das Projekt mit den Bewohnern. Ein Wasserkomitee aus Vertretern
des Dorfes wird gegründet. Gleichzeitig wird die technische
Durchführbarkeit studiert. Nach dieser Eingangsphase muss sich
die Bevölkerung verpflichten, in Fronarbeit und Eigenregie
die geforderte Menge Sand, Steine und Bauholz bereitzumachen.
Erst
wenn das Material bereitgestellt ist, die Bevölkerung also
ihren Willen demonstriert hat, werden die topografischen
Vermessungen gemacht, worauf die Bevölkerung die Kanäle
graben muss und vom Zentrallager der FIKRIFAMA das benötigte
Material (Röhren, Zement, Wasserhahnen) geliefert wird.
Eine Equipe der FIKRIFAMA bleibt während der rund dreiwöchigen
Arbeiten im Dorf, gleichzeitig bildet sie Leute für den
Unterhalt und für kleine Reparaturen aus. Die öffentlichen
Zapfstellen werden umzäunt, mit Steinen gefüllt und mit
Blumen verschönert. Die Leute sollen bei Beendigung stolz
auf ihr Werk sein, dies garantiert auch den späteren
Unterhalt der Anlage.
Laut
den Erfahrungen der FIKRIFAMA hat das Projekt nur Erfolg, wenn
die Finanzierung verfügbar ist (von internationalen
Geldgebern), wenn die Dorfbewohner Initiative zeigen und
Verantwortung übernehmen, wenn ein lokales Wasserkomitee
existiert und wenn ein lokaler, unbestrittener Führer im Dorf
lebt.
Das
Projekt scheitert, wenn die Staatsverwaltung ins Spiel kommt
oder eine soziale Organisation, welche die Arbeit
für die Bevölkerung macht, also für die
Arbeiten lokale Leute anstellt und ihnen ein Salär zahlt
und somit nicht auf die Verantwortlichkeit der Gruppe baut.
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