Musik,
Tanz und Spiele
Musik
spielt im madagassischen Alltag eine wichtige Rolle: sowohl
etwas verhalten auf dem Hochland, als auch rhythmisch locker in
den Küstengebieten. Und damit einhergehend auch der Tanz.
Gesellschaftliche Anlässe an der Küste verlaufen
allerdings weniger steif als auf dem Hochland, wo der Tanzabend
immer erst mit dem afindrafindrao eingeleitet wird. Bei diesem
Eröffnungstanz steht der Mann hinter der Frau und
abwechselnd werden Schritte nach links und rechts getan. Weitere
Paare stellen sich dahinter und idealerweise befinden sich nach
Minuten alle Anwesenden in einer langen Schlange auf der Tanzfläche
und beugen sich in langsamen Tempo zur Seite und gehen
schrittweise voran, die Hände hoch über dem Kopf mit jenen
des Partners verschränkt. (Etliche Feierlichkeiten werden
mit der Nationalhymne (hiram-pirenena) begonnen.)
Die
Tanzbewegungen der Hochlandleute wirken oft etwas versteift.
Hingegen ist das Spiel der Arme und Hände grazil und
harmonisch. Besonders die jungen Mädchen beherrschen die
rhythmischen Tanzfiguren der Arme (tsipisandry), wobei die
Handflächen anmutig wie in der asiatischen Tanzkunst geführt
werden.
In
den Küstengebieten hingegen tanzt man zu den heissen Melodien
lieber den salegy mit seinen erotischen Bewegungen. Dort sind
die zahlreichen Diskotheken auch immer gut besucht und bis tief
in die Nacht hinein geöffnet - oder es wird unter freiem
Himmel im Licht von Glühwürmchen und Sternen gefeiert.
Musik
ist auch an den famadihana dabei und untermalt den seltenen
Kontrast zwischen ausgelassener Freude und triefender
Traurigkeit dieser Feier.
Die
Missionare des letzten Jahrhunderts bauten sehr schnell ihre
christliche Botschaft in Kirchenlieder (hiram-piangonana) ein
und erfreuten sich an der Inbrunst, mit der Lieder gesungen
wurden. So schwingt auch heute noch, auf dem Hochland
jedenfalls, auch in den profanen Liedern oft ein Hauch Kirche
mit.
Obwohl
die Madagassen ohne Mühe europäische Instrumente übernahmen
und integrierten, verfügten sie schon vorher über eine breite
Spannbreite an Instrumenten, die teilweise aus Asien, Arabien
und aus Afrika stammen. Daraus und aus dem Gebrauch der
Musikinstrumente eine Theorie der Ursprungs der Madagassen
abzuleiten, wäre allerdings äusserst gewagt.
Letztendlich sind Musik und Instrumente von einem Konglomerat an
Leuten eingeführt und verbreitet worden, die aus verschiedenen
Richtungen aus dem Horizont des Indischen Ozeans auftauchten.
Als
'urtypisches' madagassisches Instrument ist wohl die valiha zu
betrachten. Dieses Zupfinstrument ist aus einem handdicken
Bambusrohr gefertigt und etwa 40 bis 60 cm lang. Entlang dieser
Längsseite verlaufen mehrere Saiten, entweder
aufgeschlitzte Bambusfasern oder Metalldrähte. Der Musikant
umfasst die valiha mit beiden Händen und zupft mit den
Fingern an den unterschiedlich getonten Saiten, was einen
harfenartigen Klang ergibt. Diese 'Bambuszither' haben die
indonesischen Einwanderer vor langer Zeit wohl aus ihrer Heimat
mitgebracht.
Rasseln
waren den Madagassen schon seit jeher bekannt. Als Klangkörper
werden verschiedene pflanzliche Materialien wie Bambusrohre und
Kalebassen (korintsana) benutzt, aber auch Konservenbüchsen, in
die trockene Samen oder kleine Steine gefüllt sind. Diese
Rhythmusinstrumente bilden insbesonders im Süden und Südosten
typische Begleitinstrumente zu Tanz und Gesang.
Ein
wohl schon den ersten Madagassen bekanntes Instrument ist das
Xylophon aus Holz. Das Xylophon wird insbesonders bei den
Besessenheitsritualen (bilo) bei den Betsileo eingesetzt und von
den Frauen gespielt und selber auch bilo genannt. Eine simplere
Variation davon sind zwei Schlegel (ambio), die gegeneinander
geschlagen werden und einen klatschenden Ton von sich geben.
Fast
alle Instrumente werden von den Benutzern selbst hergestellt, so
auch die Zupfinstrumente (jejy) aus Kalebassen, die Lauten und
die weitverbreiteten kleinen Gitarren (kabotsy).
Blasinstrumente
erfreuen sich grosser Beliebtheit. Trompeten aus Holz, Muscheln
und Zebuhörnern, ebenso wie einfache Holzflöten (sodina)
und Rohrpfeifen (farara) oder die technischer etwas
anspruchsvollere filiotra.
Schlaginstrumente
kennen eine breite Variation an Bauarten, sie reichen von
tambourartigen Trommeln über fellbespannte Trommeln (amponga)
in verschiedenen zylindrischen Formen bis hin zu Resonanzkörpern
aus Ton. Die langoro Trommel erinnert stark an eine militärische
Trommel und wird von den hira-gasy Truppen eingesetzt. Die
hira-gasy Truppen benutzen generell nur wenige Instrumente:
Klarinette, Trommel, Trompete, Ziehharmonika (angorodao) und
vielleicht noch eine Geige (iokanga).
Unumstrittener
Musikkönig war jahrzehntelang der 2002 verstorbene Rakoto
Frah. Noch als über 70-Jähriger trat er oft ganz allein
auf und blies nur seine fingerdünne Flöte, zauberte aber
damit ein Universum an Tönen herbei, der die Zuhörer während
Stunden in Bann zog. Zuweilen trat er mit jungen Musikern auf,
die er nebenbei auch ausbildete. Keiner der madagassischen
Musiker hat so viele Auftritte im Ausland gehabt und wurde in
gleichem Mass gefeiert wie Rakoto Frah. Der hingegen wohnte noch
immer in einem bescheidenen Haus in einem ärmlichen
Quartier der Hauptstadt und trat für ein Taschengeld in
Firmenfeiern auf.
Einen
weltmännischen Glamour verbreitet hingegen Henri
Ratsimbazafy, der seine an Charles Aznavour erinnernden Chansons
galant vorträgt und ihm an Charme in nichts nachsteht.
Etliche seiner Lieder wurden Gassenhauer und sind jedem
Madagassen bekannt.
Die
Gruppe Rossy kennt seit 1983 mit ihrem fetzigen Poprock einen
anhaltenden Erfolg und dies auch im Ausland. Insbesonders mit
dem Lied 'Samy mandeha. Samy mitady' (Jeder geht, jeder sucht)
traf die Gruppe gegen Ende der 1980er Jahre einen Nerv im
Volksempfinden und erhöhte durch diesen Hit ihre Popularität
wesentlich. Über Rossy schwebt allerdings nachteilig, dass
er sich politisch intensiv für Ratsiraka engagierte und wohl
auch gefördert wurde.
Natürlich
schwimmen etliche Gruppen auf der Pop- und Rockwelle, haben
Erfolg oder keinen, halten sich einige Zeit und lösen sich
dann wieder auf: Lila et ses Mélogasy, Ndrenabel, die Gruppe
Voninavoko, Bodo und viele mehr.
Zu
einem ausschweifenden Freizeitvergnügen fehlt den meisten
Madagassen das Geld, sie begnügen sich mit dem Spielen von
Domino oder fanorona, einem alten Brettspiel, das ein grosses
Mass an Strategie voraussetzt. Das Kartenspiel ist kaum
verbreitet.
Als
Sport des armen Mannes sind die Hahnenkämpfe beliebt. Am
Wochenende sind zahlreiche Jungs und Männer zu sehen, die
mit ihrem Hahn unter dem Arm zur Kampfarena wandern. Und dies
nicht nur aus Vergnügen am blutigen Spiel: ein Gewinn kann ihr
Budget dramatisch erhöhen - oder ein Verlust noch weiter in
den Ruin treiben. Die abgeschlossenen Wetten pro Hahn betragen
oft einen Monatslohn und mehr. In Antananarivo gibt es drei
Kampfplätze (Ambatoroka, Ambohibao und Sabotsy-Namehana)
und sehr viele Orte, vor allem auf dem Hochland, haben ihren
eigenen Kampfplatz für dieses Schauspiel.
Einen
nachhaltigen Erfolg ist seit einigen Jahren dem Tischfussball
beschieden. Die männliche Jugend drängt sich um diese
Kästen, um für 100 FMG eine Runde 'baby-foot' zu spielen.
Diese in artisanaler Weise in Ambatolampy hergestellten Kästen
finden sich auf Gehsteigen, öffentlichen Plätzen und
vor Essbuden und sind so gut wie immer von eifrigen Jugendlichen
umlagert.
Echter
Fussball findet auch in Madagaskar zahlreiche Anhänger,
sowohl als Spieler wie als Zuschauer.
Eine
Art Faustkampf zu Schauzwecken (diamanga) wird an der Küste
praktiziert. Die beiden Kämpfer halten sich an den Händen
fest und versetzen einander gezielte Tritte mit den Fusssohlen.
Die Kämpfer sollen sich dabei jedoch nicht wirklich
schlagen, obwohl sie wie echt aufeinander eindreschen.
Kung-Fu
wurde ab 1992 wieder salonfähig, nachdem dieser Kampfsport
1984 Anlass zu einer blutigen Staatsaffäre gegeben hatte
und danach verboten wurde. Allerdings trafen sich die Anhänger
weiterhin im Geheimen. Als Ironie der Geschichte mag
interpretiert werden, dass bei einer karitativen Veranstaltung
zu Beginn 1993 sowohl die Kung-Fu (Wisa Kung-Fu Malagasy) als
Sponsoren auftraten, wie im Programmheft eine Zeile weiter auch
die Police Nationale.
Schönheitswettbewerbe
haben auch in Madagaskar Anhänger. So findet das fampitaha
als gelegentlicher Wettbewerb zwischen Nachbardörfern
statt, wobei Schmuck und Anmut der Mädchen ausgezeichnet
werden.
Als
attraktives Freizeitvergnügen der Jugend haben sich die
Kleinkinos entwickelt, die für wenig Geld in überfüllten
kleinen Räumen Videofilme zeigen. Die Filme, oft
raubkopierte Versionen, sind meist drittklassige Krimis, schnell
gedrehte Kung-Fu-Filme oder billige Sexfilme.
Freizeit
ist ein Wort der städtischen Bevölkerung - und dort
herrscht ein krasses Unterangebot. Gelangweilte Jugendliche und
Erwachsene - Männer meist - sind zu jeder Tageszeit
anzutreffen. Auf dem Land sind Erwachsene wie Jugendliche in
einen festen Arbeitsplan eingebunden, der nicht viel Spielraum für
eine Freizeitbeschäftigung offen lässt. Nur der sonntägliche
Kirchenbesuch oder der wöchentliche Markt lockern das tägliche
Einerlei erheblich auf. Zudem finden immer wieder
Feierlichkeiten statt, fröhliche und traurige, die jedesmal
ein spezielles Erlebnis sind und zumeist in langer Erinnerung
bleiben. Freizeit als Konsumartikel ist unbekannt.
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