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PRIORI, das Reisebüro für und in Madagaskar

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Madagaskar, das PRIORI-Buch

Franz Stadelmann

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Madagaskar: Symbiose zwischen Gestern und Heute

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Musik, Tanz und Spiele

Musik spielt im madagassischen Alltag eine wichtige Rolle: sowohl etwas verhalten auf dem Hochland, als auch rhythmisch locker in den Küstengebieten. Und damit einhergehend auch der Tanz. Gesellschaftliche Anlässe an der Küste verlaufen allerdings weniger steif als auf dem Hochland, wo der Tanzabend immer erst mit dem afindrafindrao eingeleitet wird. Bei diesem Eröffnungstanz steht der Mann hinter der Frau und abwechselnd werden Schritte nach links und rechts getan. Weitere Paare stellen sich dahinter und idealerweise befinden sich nach Minuten alle Anwesenden in einer langen Schlange auf der Tanzfläche und beugen sich in langsamen Tempo zur Seite und gehen schrittweise voran, die Hände hoch über dem Kopf mit jenen des Partners verschränkt. (Etliche Feierlichkeiten werden mit der Nationalhymne (hiram-pirenena) begonnen.)

Die Tanzbewegungen der Hochlandleute wirken oft etwas versteift. Hingegen ist das Spiel der Arme und Hände grazil und harmonisch. Besonders die jungen Mädchen beherrschen die rhythmischen Tanzfiguren der Arme (tsipisandry), wobei die Handflächen anmutig wie in der asiatischen Tanzkunst geführt werden.

In den Küstengebieten hingegen tanzt man zu den heissen Melodien lieber den salegy mit seinen erotischen Bewegungen. Dort sind die zahlreichen Diskotheken auch immer gut besucht und bis tief in die Nacht hinein geöffnet - oder es wird unter freiem Himmel im Licht von Glühwürmchen und Sternen gefeiert.

Musik ist auch an den famadihana dabei und untermalt den seltenen Kontrast zwischen ausgelassener Freude und triefender Traurigkeit dieser Feier.

Die Missionare des letzten Jahrhunderts bauten sehr schnell ihre christliche Botschaft in Kirchenlieder (hiram-piangonana) ein und erfreuten sich an der Inbrunst, mit der Lieder gesungen wurden. So schwingt auch heute noch, auf dem Hochland jedenfalls, auch in den profanen Liedern oft ein Hauch Kirche mit.

Obwohl die Madagassen ohne Mühe europäische Instrumente übernahmen und integrierten, verfügten sie schon vorher über eine breite Spannbreite an Instrumenten, die teilweise aus Asien, Arabien und aus Afrika stammen. Daraus und aus dem Gebrauch der Musikinstrumente eine Theorie der Ursprungs der Madagassen abzuleiten, wäre allerdings äusserst gewagt. Letztendlich sind Musik und Instrumente von einem Konglomerat an Leuten eingeführt und verbreitet worden, die aus verschiedenen Richtungen aus dem Horizont des Indischen Ozeans auftauchten.

Als 'urtypisches' madagassisches Instrument ist wohl die valiha zu betrachten. Dieses Zupfinstrument ist aus einem handdicken Bambusrohr gefertigt und etwa 40 bis 60 cm lang. Entlang dieser Längsseite verlaufen mehrere Saiten, entweder aufgeschlitzte Bambusfasern oder Metalldrähte. Der Musikant umfasst die valiha mit beiden Händen und zupft mit den Fingern an den unterschiedlich getonten Saiten, was einen harfenartigen Klang ergibt. Diese 'Bambuszither' haben die indonesischen Einwanderer vor langer Zeit wohl aus ihrer Heimat mitgebracht.

Rasseln waren den Madagassen schon seit jeher bekannt. Als Klangkörper werden verschiedene pflanzliche Materialien wie Bambusrohre und Kalebassen (korintsana) benutzt, aber auch Konservenbüchsen, in die trockene Samen oder kleine Steine gefüllt sind. Diese Rhythmusinstrumente bilden insbesonders im Süden und Südosten typische Begleitinstrumente zu Tanz und Gesang.

Ein wohl schon den ersten Madagassen bekanntes Instrument ist das Xylophon aus Holz. Das Xylophon wird insbesonders bei den Besessenheitsritualen (bilo) bei den Betsileo eingesetzt und von den Frauen gespielt und selber auch bilo genannt. Eine simplere Variation davon sind zwei Schlegel (ambio), die gegeneinander geschlagen werden und einen klatschenden Ton von sich geben.

Fast alle Instrumente werden von den Benutzern selbst hergestellt, so auch die Zupfinstrumente (jejy) aus Kalebassen, die Lauten und die weitverbreiteten kleinen Gitarren (kabotsy).

Blasinstrumente erfreuen sich grosser Beliebtheit. Trompeten aus Holz, Muscheln und Zebuhörnern, ebenso wie einfache Holzflöten (sodina) und Rohrpfeifen (farara) oder die technischer etwas anspruchsvollere filiotra.

Schlaginstrumente kennen eine breite Variation an Bauarten, sie reichen von tambourartigen Trommeln über fellbespannte Trommeln (amponga) in verschiedenen zylindrischen Formen bis hin zu Resonanzkörpern aus Ton. Die langoro Trommel erinnert stark an eine militärische Trommel und wird von den hira-gasy Truppen eingesetzt. Die hira-gasy Truppen benutzen generell nur wenige Instrumente: Klarinette, Trommel, Trompete, Ziehharmonika (angorodao) und vielleicht noch eine Geige (iokanga).

Unumstrittener Musikkönig war jahrzehntelang der 2002 verstorbene Rakoto Frah. Noch als über 70-Jähriger trat er oft ganz allein auf und blies nur seine fingerdünne Flöte, zauberte aber damit ein Universum an Tönen herbei, der die Zuhörer während Stunden in Bann zog. Zuweilen trat er mit jungen Musikern auf, die er nebenbei auch ausbildete. Keiner der madagassischen Musiker hat so viele Auftritte im Ausland gehabt und wurde in gleichem Mass gefeiert wie Rakoto Frah. Der hingegen wohnte noch immer in einem bescheidenen Haus in einem ärmlichen Quartier der Hauptstadt und trat für ein Taschengeld in Firmenfeiern auf.

Einen weltmännischen Glamour verbreitet hingegen Henri Ratsimbazafy, der seine an Charles Aznavour erinnernden Chansons galant vorträgt und ihm an Charme in nichts nachsteht. Etliche seiner Lieder wurden Gassenhauer und sind jedem Madagassen bekannt.

Die Gruppe Rossy kennt seit 1983 mit ihrem fetzigen Poprock einen anhaltenden Erfolg und dies auch im Ausland. Insbesonders mit dem Lied 'Samy mandeha. Samy mitady' (Jeder geht, jeder sucht) traf die Gruppe gegen Ende der 1980er Jahre einen Nerv im Volksempfinden und erhöhte durch diesen Hit ihre Popularität wesentlich. Über Rossy schwebt allerdings nachteilig, dass er sich politisch intensiv für Ratsiraka engagierte und wohl auch gefördert wurde.

Natürlich schwimmen etliche Gruppen auf der Pop- und Rockwelle, haben Erfolg oder keinen, halten sich einige Zeit und lösen sich dann wieder auf: Lila et ses Mélogasy, Ndrenabel, die Gruppe Voninavoko, Bodo und viele mehr.

Zu einem ausschweifenden Freizeitvergnügen fehlt den meisten Madagassen das Geld, sie begnügen sich mit dem Spielen von Domino oder fanorona, einem alten Brettspiel, das ein grosses Mass an Strategie voraussetzt. Das Kartenspiel ist kaum verbreitet.

Als Sport des armen Mannes sind die Hahnenkämpfe beliebt. Am Wochenende sind zahlreiche Jungs und Männer zu sehen, die mit ihrem Hahn unter dem Arm zur Kampfarena wandern. Und dies nicht nur aus Vergnügen am blutigen Spiel: ein Gewinn kann ihr Budget dramatisch erhöhen - oder ein Verlust noch weiter in den Ruin treiben. Die abgeschlossenen Wetten pro Hahn betragen oft einen Monatslohn und mehr. In Antananarivo gibt es drei Kampfplätze (Ambatoroka, Ambohibao und Sabotsy-Namehana) und sehr viele Orte, vor allem auf dem Hochland, haben ihren eigenen Kampfplatz für dieses Schauspiel.

Einen nachhaltigen Erfolg ist seit einigen Jahren dem Tischfussball beschieden. Die männliche Jugend drängt sich um diese Kästen, um für 100 FMG eine Runde 'baby-foot' zu spielen. Diese in artisanaler Weise in Ambatolampy hergestellten Kästen finden sich auf Gehsteigen, öffentlichen Plätzen und vor Essbuden und sind so gut wie immer von eifrigen Jugendlichen umlagert.

Echter Fussball findet auch in Madagaskar zahlreiche Anhänger, sowohl als Spieler wie als Zuschauer.

Eine Art Faustkampf zu Schauzwecken (diamanga) wird an der Küste praktiziert. Die beiden Kämpfer halten sich an den Händen fest und versetzen einander gezielte Tritte mit den Fusssohlen. Die Kämpfer sollen sich dabei jedoch nicht wirklich schlagen, obwohl sie wie echt aufeinander eindreschen.

Kung-Fu wurde ab 1992 wieder salonfähig, nachdem dieser Kampfsport 1984 Anlass zu einer blutigen Staatsaffäre gegeben hatte und danach verboten wurde. Allerdings trafen sich die Anhänger weiterhin im Geheimen. Als Ironie der Geschichte mag interpretiert werden, dass bei einer karitativen Veranstaltung zu Beginn 1993 sowohl die Kung-Fu (Wisa Kung-Fu Malagasy) als Sponsoren auftraten, wie im Programmheft eine Zeile weiter auch die Police Nationale.

Schönheitswettbewerbe haben auch in Madagaskar Anhänger. So findet das fampitaha als gelegentlicher Wettbewerb zwischen Nachbardörfern statt, wobei Schmuck und Anmut der Mädchen ausgezeichnet werden.

Als attraktives Freizeitvergnügen der Jugend haben sich die Kleinkinos entwickelt, die für wenig Geld in überfüllten kleinen Räumen Videofilme zeigen. Die Filme, oft raubkopierte Versionen, sind meist drittklassige Krimis, schnell gedrehte Kung-Fu-Filme oder billige Sexfilme.

Freizeit ist ein Wort der städtischen Bevölkerung - und dort herrscht ein krasses Unterangebot. Gelangweilte Jugendliche und Erwachsene - Männer meist - sind zu jeder Tageszeit anzutreffen. Auf dem Land sind Erwachsene wie Jugendliche in einen festen Arbeitsplan eingebunden, der nicht viel Spielraum für eine Freizeitbeschäftigung offen lässt. Nur der sonntägliche Kirchenbesuch oder der wöchentliche Markt lockern das tägliche Einerlei erheblich auf. Zudem finden immer wieder Feierlichkeiten statt, fröhliche und traurige, die jedesmal ein spezielles Erlebnis sind und zumeist in langer Erinnerung bleiben. Freizeit als Konsumartikel ist unbekannt.

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Der Ethnologe Franz Stadelmann kam 1988 als Entwicklungshelfer nach Madagaskar. 1994 gründete er das madagassische Reisebüro PRIORI in Antananarivo. PRIORI organisiert Reisen mit mehr Hintergrund und tieferen Einblicken in die Licht und Schatten dieser Insel im Indischen Ozean. 'Sanftes Reisen' soll den BesucherInnen als auch den Besuchten gegenseitiges Verständnis erwecken. PRIORI engagiert sich auch sehr im sozialen und kulturellen Leben Madagaskars. PRIORI steht für Ihre Reisepläne gern zur Verfügung - auch in deutscher Sprache.

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